Israels Kampf gegen die Wüste bedroht die Wasserversorgung
19. Juni 2006Vorsichtig setzt Gundi Schachal jeden ihrer Schritte. Es knirscht und spritzt, wenn sie über brechende Salzkrusten und moosige Pfützen balanciert. Die Umweltaktivistin von "Friends of the Earth - Middle East", führt vor, was sie die "Rache der Erde" nennt: Kraterartige Trichter klaffen im Boden, Einbruchlöcher, die bis zu 40 Meter breit und 10 Meter tief sein können. Etwa zweitausend dieser Einbruchkrater haben sich bereits entlang der Küstenlinie aufgetan und den Uferbereich in eine mondartige Landschaft verwandelt. "Das Tote Meer", klagt Schachal, "stirbt."
Der Jordan: Früher ein Fluss, heute ein Rinnsal
Vor zwanzig Jahren ist Gundi Schachal aus Deutschland eingewandert. Im Kibbuz Ein Gedi arbeitet sie als Lehrerin. Jedes Jahr hat sie den Meeresspiegel um einen Meter sinken sehen. Seither ist die Oberfläche des Binnenmeeres um ein Drittel geschrumpft. Der Jordan, Jahrtausende lang Hauptzufluss und Lebensader des aus einer gesättigten Salzlösung bestehenden Meeres, ist bis auf ein schmutziges Rinnsal versiegt. Israel und Jordanien haben ihm das Wasser weitgehend abgegraben. Flossen Anfang der Sechzigerjahre noch 1,3 Milliarden Kubikmeter Wasser jährlich ins Tote Meer, so kommt heute als Folge der intensiven Wasserentnahme flussaufwärts und aus dem See Genezareth nur noch ein Zehntel dieser Wassermenge an.
In dreißig Jahren, schätzen Experten, könnte aus dem Salzmeer eine Salzwüste geworden sein. Wo sich das Tote Meer zurückzieht, löst nachrückendes Süßwasser die unterirdischen Salzschichten auf. Ausgelöst von tektonischen Spannungen entstehen Hohlräume, die in sich zusammenfallen. Einbruchkrater sind die Folge. Vieles haben sie seither verschlungen, ein Militärcamp der israelischen Armee ebenso wie einen Campingplatz und eine Dattelplantage des Kibbuz Ein Gedi. Hals über Kopf haben die Bewohner die Anlagen verlassen, die heute wie Teile einer Geisterstadt wirken. Die Touristen bleiben aus - ein schwerer Schlag für das ohnehin hoch verschuldete Kibbuz.
Das Tote Meer stirbt dahin
Für Assaf Sabag, den arabischen Geschäftsführer von "Ein Gedi Spa", könnte die Welt eigentlich in Ordnung sein. Hautkranke aus aller Welt pilgern seit jeher zu den Salz- und Lichttherapien am tiefsten Punkt der Erde. Gewalt und Gegengewalt während der Palästinenseraufstände aber hatten die Touristenströme versiegen lassen. Ausgerechnet jetzt, da das Geschäft allmählich wieder anzieht, wird das Siechtum des Toten Meeres unübersehbar. Immer weiter rückt der Strand des Salzmeeres von den Sanatoriumsgebäuden ab. Inzwischen transportiert ein Diesel getriebenes Bimmelbähnchen die Kurgäste laut scheppernd über eine asphaltierte Straße zur Badestelle. Einmal im Jahr muss Assaf den Wendeplatz näher zum Meer hin verlegen lassen.
Die Feuchtgebiete nördlich und südlich des Toten Meeres, die in jedem Frühjahr und Herbst Rastplatz für 500 Millionen Zugvögel sind, lassen sich natürlich nicht verlegen. Sie sind gefährdet, und auch das zählt zum ökologischen Preis des staatlichen israelischen Wassermanagements.
Nationale Herausforderung
Fünfzig Jahre ist es her, dass Ben Gurion als Staatsgründer Israels den Kampf gegen das Vordringen der Wüste zur "nationalen Herausforderung" erklärte. Die Wüste Negev macht immerhin rund sechzig Prozent der Landesfläche aus, und es wurde Lebensraum für einwandernde Juden gebraucht. Ben Gurions Botschaft kam an. Sie wurde zur Triebfeder der zionistischen Bewegung.
Die Folgen von ungebremster Überweidung, Zerstörung der Erdkrusten durch Tierhufe und Erosion sind beispielsweise in der Ortschaft Meitar zu besichtigen. Hier, nordöstlich von Beer Sheva, der Wüstenhauptstadt des Negev, hat ein ungewöhnlich regenarmer Winter die wellige Ebene früh ausdörren lassen: Staubtrockene Flusstäler haben seit Wochen keinen Tropfen Wasser gesehen. Wenn es regnet, dann entstehen für wenige Stunden reißende Ströme, dann stürzt das Wasser von der niedrigen Hügelketten, die die Wüste säumt, herab. Yitzhak Moshé, Oberförster des Jüdischen Nationalfonds Keren Kayemeth Lelsrael (KKL), macht darauf aufmerksam, wie stark die Uferränder in einem Wadi ausgefranst sind. Da spült der Fluss jedes Mal neue, kostbare Erde weg.
Ökologisch sinnvolle Traditionen
Würziger Harzgeruch liegt in der Luft. Großflächig bepflanzt der Jüdische Nationalfonds am Rande von Ortschaften ganze Hügelzüge mit Pinien. Bei der Aufforstung nutzen Moshé und seine Leute lokale Wasservorräte. Um Wasser zu sparen, bedienen sich Techniken, die schon in der Antike eingesetzt wurden. Wie vor 3.000 Jahren leiten sie das Regenwasser bereits an den Hängen in Kanäle – und von dort zu den terrassenförmig angelegten Pflanzungen. Knöchel hohe Wälle, so genannte Limane, konzentrieren das kostbare Nass rund um die Setzlinge.
Wassermix für die Wüstenbauern
Hundert Kilometer weiter, im Südwesten des Negev, ist die ägyptische Grenze nur einen Steinwurf entfernt. Yakov Moskovitch ist für die Wasserversorgung in diesem Teil des Negev verantwortlich. Zum Bewässern der Felder, erzählt er, verwenden seine zweihundert Bauern einen Wasser-Mix - Süßwasser aus dem See Genezareth im Norden angereichert mit salzhaltigem Wasser, das starke Pumpen aus tiefen Erdschichten unter dem Wüstenboden heraufsaugen. Lieferant ist die staatliche Wassergesellschaft, denn in Israel gehört alles Wasser dem Staat. Jüdische Bauern versorgt er mit festgelegten Mengen zu moderaten Preisen. "Mit diesem Wasser bauen wir Tomaten oder Melonen und Kartoffeln für den europäischen und den amerikanischen Markt an", erzählt Moskovitch.
Bewässerung aus politischen Gründen
Was er nicht sagt: Der niedrige Wassertarif ist ein hoch subventionierter und somit ein politischer Preis. Gerade mal fünf Prozent trägt die Landwirtschaft zum israelischen Bruttosozialprodukt bei – gleichzeitig verschlingt sie mehr als zwei Drittel der nationalen Wasserressourcen. Eine traditionell starke Bauernlobby verteidigt zwei politische Grundsätze: Die eigene Versorgungssicherheit und die zionistische Siedlungspolitik. So exportiert der jüdische Staat mit Feldfrüchten oder Pflanzen, die aufwendig in der Wüste angebaut werden, seine knappste Ressource - Wasser. "Israel", bestätigt der niederländische Soziologe und Wasserforscher Henri Bryuns von der Wüsten-Universität in Sde Boder, "hat ein Problem mit seinem Wassermanagement." Allein aus politischen Gründen sei Israel nicht bereit, auf den Wassertransport in die Wüste zu verzichten.
Der Krieg um Wasser ist entbrannt
Im Jordan River Projekt (Global Change in the Hydrologycal Cycle, GLOWA/Jordan River) erkunden seit fünf Jahren deutsche und israelische Hydrologen die Möglichkeiten für nachhaltige Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet des Jordan. Fünf Jahre nach ihrem Start sehen die GLOWA-Forscher schlimmste Befürchtungen bestätigt: Der Wasservorrat im Jordan-Gebiet schwindet, gleichzeitig wächst die Bevölkerung - in Israel derzeit um 2,5 Prozent jährlich, in Jordanien und in den Palästinensergebieten sogar um drei Prozent. Bis zum Jahr 2040 wird sich der Wasserverbrauch verdoppeln, prognostizieren die Wissenschaftler. Damit wächst das Konfliktpotenzial. "Nicht zuletzt durch die ungleiche Verteilung des Wassers", sagt Rüdiger Prasse vom Institut für Landschaftspflege der Universität Hannover, "ist der Krieg ums Wasser längst entbrannt."
Kanalprojekt: Visionäre Planung mit unkalkulierbaren Folgen
Zum politischen Preis für die Wüsten-Landwirtschaft könnte sich ein weit höherer, ökologischer gesellen. Die Idee eines Kanals, der Wasser aus dem Roten Meer etwa 200 Kilometer durch die Arawa-Wüste leitet, um es mit Hilfe von Entsalzungsanlagen zur Bewässerung zu nutzen und die restlichen Mengen ins Tote Meer einzuspeisen, elektrisiert die Visionäre diesseits und jenseits des Jordan. Doch die ökologischen Folgen, wenn Milliarden von Kubikmetern Wasser aus dem Golf von Akaba gepumpt würden, sind bisher unkalkulierbar. Nicht erforscht ist auch, wie das Tote Meer reagieren würde, wenn sich das weniger salzhaltige Wasser des Roten Meeres über seine bisher zur Mineraliengewinnung genutzten Wasserschichten legen würde. Israel und Jordanien treiben das Projekt mit Unterstützung der Weltbank voran. "Hier stand die Wiege der Menschheit", schimpft Gundi Schachal, "und das wird alles preisgegeben – um ein bisschen Wüste fruchtbar zu machen?"