Atommacht Israel
8. April 2010Ohne Mordechai Vanunu wüsste die Welt wahrscheinlich bis heute nicht, ob Israel nun wirklich Atomwaffen besitzt oder nicht: Vanunu war Techniker im Atomforschungszentrum von Dimona in der israelischen Negev-Wüste. 1986 ging er nach Australien und berichtete der britischen Presse geheime Details über das israelische Atomprogramm. Das machte ihn für kurze Zeit weltberühmt – und brachte ihn umgehend ins Gefängnis. Denn schon kurz nach seinen Enthüllungen entführte ihn der Mossad nach Israel, wo er zu einer Haftstrafe von 18 Jahren verurteilt wurde: wegen Spionage und Geheimnisverrats. Vanunu selbst wehrt sich bis heute gegen die Vorwürfe: "Es ging mir nicht um Verrat", sagte er nach seiner Entlassung 2004, "sondern darum, die Wahrheit zu berichten. Ich habe sogar daran geglaubt, dass es darum geht, Israel vor einem neuen Holocaust zu retten. Wenn die Israelis ihre Atomwaffen benutzen würden, dann würden seine Feinde zurückschlagen. Das würde Krieg bedeuten."
"Wir werden nicht die Ersten sein"
Vanunus Enthüllungen sorgten für Aufruhr. Zwischen 75 und 200 Nuklearwaffen soll Israel schon damals – Mitte der 1980er Jahre - besessen haben, dazu soll das Land über ein hochentwickeltes Trägersystem verfügen. Damit wäre Israel die fünftgrößte Atommacht der Welt, nach den USA, Russland, Frankreich und China. Israel selbst jedoch hüllt sich bis heute in Schweigen. Dass das Land Atomwaffen besitzt, wird weder bestätigt noch dementiert. Und so gilt bis heute, was der langjährige israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, schon 1986 klarstellte: "Israel wird nicht das erste Land im Nahen Osten sein, das Atomwaffen einführen wird."
Atomprogramm seit den 1950er Jahren
Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass das Land bereits Ende der 1950er Jahre damit begonnen hat, ein eigenes Atomwaffenarsenal aufzubauen – damals vor allem mit französischer Hilfe. Umgeben von feindlichen arabischen Nachbarn, glaubte Israels Staatsgründer David Ben Gurion nach 1948, sein Land mit Hilfe von Atomwaffen schützen zu müssen. Auch Shimon Peres, Israels heutiger Staatspräsident, folgte dieser Überlegung. Er war zu jener Zeit Generaldirektor des Verteidigungsministeriums und hatte als solcher das israelische Atomprogramm vehement vorangetrieben.
Schutz aus Washington
Dennoch lässt Israel bis heute die Welt bewusst im Unklaren über sein Atomprogramm. Dass Israel seine bis heute gültige Doktrin der so genannten "atomaren Zweideutigkeit" aufrechterhalten kann, liegt auch an seinem Partner USA. Denn Washington hält schon seit den 1960er Jahren schützend seine Hand über das israelische Atomwaffenprogramm. Weil die USA jeden Druck von außen abfedern, gehört Israel bis heute dem Atomwaffensperrvertrag nicht an – und es muss auch keine Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde in Wien fürchten.
Erfolgreiche Doktrin
Heute schätzen Experten, dass in Dimona rund 2.700 Arbeiter beschäftigt sind – und dass in dieser Anlage vier bis fünf Atomsprengköpfe pro Jahr hergestellt werden. Eine offizielle Bestätigung dieser Zahlen wird es aber auch weiterhin nicht geben. Dass die Doktrin dieser "atomaren Zweideutigkeit" voll aufgeht, darüber herrscht in Israel selbst kein Zweifel. Auch und gerade in einer Zeit, in der Israel nichts so sehr fürchtet, wie eine atomare Aufrüstung im Iran.
Für Gefahren wie diese müsse das Land auch weiter gewappnet sein. Und auf Abschreckung setzen, glaubt Reuven Pedatzur, Politikwissenschaftler an der Universität Tel Aviv. Er verweist dazu auf eine Episode aus den 1990er Jahren: Kurz nach dem Einmarsch in Kuwait hatte Saddam Hussein auch Raketen auf Israel abgeschossen. Dabei hatte er sogar chemische Waffen besessen, diese aber nicht benutzt. "Als Saddams Schwiegersohn nach Jordanien überlief, hat man ihn gefragt, warum", erinnert sich der Politikwissenschaftler, "und da sagte er ganz deutlich: Wir hatten Angst vor einem atomaren Gegenschlag durch Israel. Also war unsere Strategie doch ein voller Erfolg!"
Autor: Thomas Latschan
Redaktion: Ina Rottscheidt