Irans Zivilgesellschaft im Schatten der Krise
10. Januar 2020"Keiner kümmert sich um ihren Fall. Ihre blutigen Hände und die Verletzungen an ihrem Körper hat ihre Mutter beim Besuch im Gefängnis gesehen. Das Ergebnis der medizinischen Untersuchung wurde ihren Anwälten aber nicht mitgeteilt", sagt Taghi Rahmani im Gespräch mit der Deutschen Welle. Rahmani spricht über seine Frau Narges Mohammadi (beide im Artikelbild). Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin ist eine der bekanntesten politischen Gefangenen im Iran. Sie kämpft seit Jahren gegen Willkürjustiz gegen Andersdenkende, für Meinungsfreiheit und für ein unabhängiges Rechtssystem. Im Mai 2016 wurde sie zu insgesamt 16 Jahren Gefängnis verurteilt.
Narges Mohammadi wurde am 24. Dezember im Teheraner Evin-Gefängnis zusammengeschlagen und mit Gewalt in ein anderes Gefängnis verlegt. Als Strafe dafür, dass sie im Gefängnis einen Häftlingsstreik organisiert hatte, um gegen die brutale Niederschlagung der regimekritischen Demonstrationen vom November zu protestieren.
Moment der Hoffnung
In einem Brief aus dem Gefängnis hatte Narges Mohammad geschildert, wie brutal Gefängnisdirektor Gholamreza Ziaei gegen sie vorgegangen ist. Ihr Ehemann veröffentlichte diesen Brief in sozialen Netzwerken löste damit eine Protestwelle aus. Die Gefängnisbehörden und die Justiz haben die Vorwürfe zwar sofort und vehement dementiert. Dennoch erreichte das Thema das Parlament. Zwei weibliche Abgeordnete hatten keinen Zweifel daran, dass Mohammadi die Wahrheit schilderte. Sie wollten den Fall vom Parlament untersuchen lassen. Für eine kurze Zeit gab es die Hoffnung, dass Gefängnisdirektor Gholamreza Ziaei für sein Verhalten zu Rechenschaft gezogen würde.
Rückeroberung der Straße durch das Regime
"Die Tötung von Ghassem Soleimani hat die Situation völlig verändert", sagt Mohammadis Ehemann Rahmani. Der politische Journalist hat selbst 14 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Heute lebt er im Pariser Exil. "Es spielt keine Rolle, wie viele Prozent der iranischen Bevölkerung an der Trauerfeier für Soleimani teilgenommen haben. Fakt ist, dass die Teilnehmer mit den Märschen die Straßen zurückerobert haben. Sie haben die Position des geistlichen Führers gestärkt. Ayatollah Chamenei sucht keinen Dialog mit seinen Kritikern. Er will mit seinen Verbündeten seine Politik fortsetzen."
Als Antwort auf den "maximalen Druck" der USA verfolgt der geistliche und politische Führer Ajatollah Ali Chamenei seinerseits eine Politik des "maximalen Widerstands" gegen die USA. Nun stehen die "nationale Sicherheit" und "Selbstverteidigung gegen den Feind" an erster Stelle. "Die USA können uns nicht in die Knie zwingen, selbst wenn sie unseren Helden töten", riefen die Demonstranten auf der Trauerfeier für Soleimani. Die Forderungen der Proteste der letzten Monate sind in den Hintergrund gedrängt. Die Protestierende wollten Arbeit, ein besseres Leben, Freiheit. So wie der 27-jährige Pouya Bakhtiari, der bei den jüngsten Unruhen im Iran durch einen Kopfschuss getötet wurde.
Repression gegen angebliche "Konterrevolutionäre"
Seine Cousine Bahman Sadeghi-no teilte der Deutschen Welle mit: "Sein Vater sitzt hinter Gittern". Die Eltern von Pouya hatten alle Iraner eingeladen, an einer Gedenkfeier am 26. Dezember, gemäß schiitischer Tradition also am 40. Tag nach seinem Tod, teilzunehmen. In den sozialen Netzwerken kursierten zahlreiche Aufrufe zu Solidaritätskundgebungen mit seiner Familie. Kurz vor der Veranstaltung wurde die Familie festgenommen - einschließlich Bakhtiaris Schwester, einer Tante und eines Onkels. "Unter der Bedingung, sich zurückzuhalten und still zu bleiben, wurden am vergangenen Sonntag Mutter, Schwester und Tante frei gelassen. Bakhtiaris Vater und sein Onkel wurden als Geisel behalten", berichtet Bahman Sadeghi-no der DW.
Die Behörden behaupten, "bewaffnete Konterrevolutionäre" hätten während der Unruhen im November auf Demonstranten geschossen, um die Sicherheitsbeamten und die Polizei in ein schlechtes Licht zu rücken. Bis heute wurde nicht mitgeteilt, wie viele Menschen bei den Protesten getötet wurden. Laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International starben mindestens 304 Menschen, mehrere Tausend sollen verletzt worden sein.
Stimmen des Ausgleichs ungehört
"Die iranische Gesellschaft ist gespalten und braucht gerade jetzt mehr dann je diejenigen, die Brücken bauen können, die versuchen, die Situation zu verbessern und sich für die Menschenrechte einsetzen" meint Taghi Rahmani. "Menschenrechtler wie Narges Mohammadi, die gegen den Krieg und den Terror sind, weil sie wissen, welche Folgen diese Gewalttaten für eine Gesellschaft haben. Diese Stimmen aber sind nun in Vergessenheit geraten".