Im Schatten Fidels
26. Juli 2008DW-WORLD.DE: Herr Wulffen, was ist Raúl Castro für ein Mensch?
Bernd Wulffen: Im Gegensatz zu seinem sehr charismatischen Bruder Fidel ist Raúl kein Charismatiker. Er ist eher introvertiert und zurückgezogen. Menschen, die ihn kennen, bezeichnen ihn als sehr freundlich und offen, er kann aber auch genau das Gegenteil davon sein. Es gibt ja das Schlagwort von "Raúl el terrible", also "Raul der Schreckliche": 1955, als sich die Guerrilla in Mexiko auf das Unternehmen in der Sierra Maestra vorbereitete, war Raúl mit Anfang 20 einer der Jüngsten und er wollte sich den Älteren beweisen, er wollte sein Führungsqualitäten unter Beweis stellen. Er war außerordentlich hart, trat als Staatsanwalt auf und hat mehrfach Exekutionen von Verrätern durchgeführt. Das hat ihm diesen Ruf eingetragen. Auf der anderen Seite galt er in der Familie fast als Muttersöhnchen, als verwöhntes, aber auch als liebes Kind. Er hat eben diese beiden gegensätzlichen Pole in sich und das macht ihn für mich sehr rätselhaft und undurchschaubar.
Keine guten Vorzeichen für die neue Ära auf Kuba unter Raúl Castro als neuem Staatschef: Was erwarten Sie von ihm?
Raúl hat sich natürlich weiter entwickelt, er ist nicht mehr der Mann, der sich immer wieder beweisen muss, sondern hat auch einen eigenen Kurs eingeschlagen, der auch nicht immer mit dem im Einklang stand, was sein großer Bruder ihm vorgegeben hat. So hat er zum Beispiel Ende der 1980er Jahre als Verteidigungsminister damit begonnen, wirtschaftliche Aktivitäten der Militärs anzuschieben, er hat Firmen aufgebaut und neue Management-Methoden eingeführt, die auch dafür verantwortlich waren, dass Kuba in der großen Krise nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Sowjetunion ab 1991 wirtschaftlich und politisch überleben konnte. Da hat Raúl große Verdienste.
Auch heute beobachte ich, dass er immer wieder neue Wege beschreitet: Er hat erste Schritte zu einer wirtschaftlichen Liberalisierung begonnen: Man kann jetzt Handys auf Kuba kaufen, Computer oder Motorräder: Das war bislang alles für Kubaner verboten und jetzt ist erlaubt. Außerdem will Raúl auch die Landwirtschaft fördern, indem er privaten Bauern Land zuweist. Privateigentümer waren bislang eigentlich eine verschwindende Minderheit, die jedoch jetzt in der Not wieder hervor geholt werden, um die Landwirtschaft auf einen besseren Weg zu bringen.
Deutet das auf einen umfassenden Wandel oder sind das nur punktuelle Maßnahmen?
Es sind keine großen Schritte. Es nicht der große Wurf, den viele sich viele bei dem Machtwechsel ausgerechnet haben. Aber insgesamt sind es schon wichtige Schritte, die Hoffnung für die Menschen bedeuten. Sie sind psychologisch wirksam, die Erstarrung hat aufgehört und eine neue Ära ist im Anbruch.
Und was sagt der große Bruder Fidel dazu?Hat er ihm mit dem Hardliner José Ramon Machado als Vizepräsident einen Aufpasser zur Seite gestellt?
Fidel ist immer noch im Hintergrund aktiv. Mit seinen "reflecciones", seinen Überlegungen, die er immer wieder anstellt und von denen es mittlerweile über 50 gibt, versucht er, gegen zu steuern und immer wieder seinen Zeigefinger zu heben. Ich glaube, dass es in der kubanischen Führung noch keine einheitliche Linie gibt, aber Raúl wird der Politik als neuer Machthaber sicherlich seinen Stempel aufdrücken: Im nächsten Jahr wird er zum Beispiel einen Parteikongress durchführen lassen, den es seit elf Jahren nicht mehr gegeben hat. Fidel hatte sich stets davor gedrückt, vermutlich, weil er unbequeme Diskussionen fürchtete. Daher glaube ich schon, dass Raúl immer mehr aus dem Hintergrund heraus tritt und -vielleicht nicht immer sehr öffentlichkeitswirksam- den Kurs bestimmt.
Trotzdem besteht die die komplette Führungsriege immer noch aus alten Männern - das spricht gegen einen Wandel.
Ein Generationenwandel, mit dem ich eigentlich im Februar gerechnet hatte, hat tatsächlich nicht stattgefunden: Der Jüngste aus dem Führungszirkel ist der Arzt Carlos Lage mit 56 Jahren, der Älteste ist der 82-jährige Fidel und Raúl ist gerade 77 geworden, es ist tatsächlich eine Riege alter Herren. Sie denken von sich, dass sie das Staatsschiff in ruhigen Gewässern halten können, sie wollen keine Revolution in der Revolution und keine überstürzten Aktionen. Sie wollen alles ruhig und kontrolliert halten, damit eben nicht so ein Zusammenbruch erfolgt wie im Ostblock nach 1989.
Wie sehen die Kubaner - vor allem die jungen - das?
Interessanterweise und für den ausländischen Beobachter überraschend sehen die Kubaner das eher gelassen. Ich glaube nicht, dass wir Unruhen zu erwarten haben. Aber die Kubaner haben auch eine Erwartungshaltung: Sie möchten mehr Teil haben an den Segnungen der Moderne: Sie möchten ein eigenes Auto haben, was sie bislang nicht ohne weiteres dürfen, sie wollen ein Haus besitzen und persönlich vorwärtskommen. Das geht ihnen zwar alles viel zu langsam, aber ich glaube trotzdem, dass sie noch geduldig sind.
Wo sehen Sie Kuba in zehn Jahren?
Das ist schwer vorauszusehen. Es wird auch davon abhängen, wie sich die Rahmenbedingungen gestalten, vor allem das Verhältnis Kubas zu den USA. Unter Präsident Bush wurden keinerlei Anstalten gemacht, auf die Insel zuzugehen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Barack Obama, wenn er denn gewählt würde, in den Dialog eintreten will. Raúl Castro scheint auch dazu bereit zu sein. Aber die Fülle der Themen, die dann besprochen werden müssten, ist groß und wird doch noch eine ganze Zeit dauern, bis es hier eine Bereinigung gibt.
Aber ich glaube schon, dass sich das Verhältnis ändern wird: In zehn Jahren wird es vielleicht amerikanische Touristen auf Kuba und noch mehr Handel geben. Aber man wird sehen müssen, wie sich die Dinge entwickeln, wie die Mehrheiten im US-Kongress sind und ob der neue Präsident bereit sein wird, einen Schritt auf Kuba zuzugehen.
Bernd Wulffen war von 2001 bis 2005 deutscher Botschafter auf Kuba und er ist Autor des Buches: " Kuba im Umbruch: Von Fidel zu Raúl Castro".