Internationale Kulturarbeit in Kairo
31. Januar 2012
Deutsche Welle: Der arabische Frühling hat viele Staaten in Nordafrika und Nahost grundlegend verändert. Das Goethe-Institut in Kairo liegt wenige Meter entfernt vom Tahrir-Platz, dem Epizentrum der "Arabellion". Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Günther Hasenkamp: Nach Mubaraks Sturz lag viel Euphorie in der Luft. Vor dem Institut war ein demolierter Stasi-LKW geparkt mit einem bezeichnenden Graffitti darauf: "The End". Die Zeichen standen auf Neubeginn. Man hatte Lust, Kairo als Großbaustelle einer neuen Gesellschaft zu betrachten, auch wenn da die Architekten nicht zu sehen waren. Doch diese Heiterkeit war binnen Wochen verflogen. Nach und nach wurde die Enttäuschung stärker. Die Nach-Revolution ist ja, wie die berühmten 18 Tage im Januar und Februar, ein sehr emotionaler Prozess. Ich erlebe das direkt mit – nicht nur, weil ich im Büro jeden Sprechchor vom Tahrir hören kann.
Arabische Kulturschaffende sind ein wichtiger Teil der Revolution. Wie macht sich dieser historische Umbruch in Ihrer Kulturarbeit vor Ort bemerkbar?
Die Revolution hat das Leben der Menschen grundlegend erschüttert. Man ist aus der Vereinzelung hervorgetreten in eine neue Kollektivität, auch wenn diese wie im Fall der Facebook-Communities nur virtuell ist. Das Private ist plötzlich politisch geworden und das Öffentliche gewissermaßen privat. Demonstranten nahmen einen Besen in die Hand, um auf dem Tahrir-Platz die Straße zu fegen. Denn jetzt war es "ihr" Platz und nicht mehr der polizeibewachte fremde Raum. Hier hat eine Wiederaneignung stattgefunden, man hat eingenommen, was einem entwendet worden war – ein Gefühl, das der Occupy-Bewegung anderswo auf der Welt sicher sehr nachvollziehbar ist, bei allen sonstigen Unterschieden.
Deutschland und Europa wurden vom Ausbruch der Revolutionswelle vor einem Jahr überrascht. Wie hat das Goethe-Institut auf diese dramatischen Ereignisse reagiert?
Es war schnell deutlich, dass die demokratischen Kräfte im Wortsinn keinen "Raum" hatten, sich zu entfalten. Wir haben dann unsere ehemalige Galerie demokratischen Jugendinitiativen zur Verfügung gestellt und sie in "Tahrir Lounge" umbenannt. In Selbstverwaltung der jungen Leute entstand da sehr schnell ein reger Versammlungs- und Seminarbetrieb, auch Konzerte und sogenannte "Tweet Nadwas", wo man ein Thema diskutiert während dazu Twitter-Nachrichten auf eine Wand projiziert werden. Die Aktivitäten der "Tahrir Lounge" sind im Grunde politische Bildungsarbeit.
Schon im März starteten wir im Internet ein Webjournal namens "Transit". Wir wollten, wie bei einem Zeit-Recorder, junge Leute bitten mitzuschreiben, welche Themen, Stimmungen und Diskussionen sie jetzt bewegen. Nicht unbedingt, um es zu dokumentieren – sondern weil der historische Moment da war, ohne Angst vor Repression zu sagen, was man denkt. Alles sehr direkt, sehr wirklichkeitsnah, sehr eindrucksvoll.
Unter dem Mubarak-Regime durften viele Kulturinstitutionen politische Themen nicht anpacken. Wie frei können Sie als Kulturakteur agieren, existieren zensurfreie Räume?
Unter Mubarak war es sehr wichtig, dass es geschützte Räume gab. Der 25. Januar und erst recht der 11. Februar, der Sturz des Diktators, waren dann wie eine Erlösung: Endlich konnte man frei diskutieren! Es hat nicht lange gedauert, bis das Militär begann, massiv gegen Kritiker vorzugehen.
Aktuell müssen sich einige Nichtregierungsorganisationen – einige amerikanisch unterstützte, aber auch die Konrad-Adenauer-Stiftung - bedroht fühlen, deren Büros durchsucht und deren Mitarbeiter soeben mit Ausreiseverbot belegt worden sind. Hier tut sich ein unschöner Widerspruch auf: Während westliche Regierungen die Förderung der "Zivilgesellschaft" als Beitrag zum demokratischen Aufbau verstehen, sehen das Militär bzw. staatliche Stellen eben jene "Zivilgesellschaft" als Bedrohung an. Und noch etwas kommt hinzu. Nach dem Wahlsieg der islamistischen Parteien wird gerade von den Kulturszenen sehr aufmerksam beobachtet, ob die neue Regierung der Kultur den nötigen Freiraum lässt.
Seit dem Ausbruch des arabischen Frühlings hoffen viele arabische Kulturschaffende auf einen schnellen Wandel. Nun ist die anfängliche Begeisterung merklich gedämpft. Welche Möglichkeiten hat die internationale Kulturarbeit, bei der Gestaltung des Übergangprozesses zu helfen?
Eine gewisse Niedergeschlagenheit, durchmischt von Trotz und Widerstandswillen, ist derzeit spürbar. Beherrschend ist das Gefühl, dass die "Revolution" gleichsam "gekidnappt" wurde – vom Militär und von den Islamisten.
Viele Künstler, so geht ein Bonmot, produzieren derzeit entweder nichts oder jedenfalls nichts über die Revolution. Dabei kann man, gerade als Künstler, diesem Thema kaum ausweichen. Natürlich gibt es viel Deskription. Da sind die vielen Dokumentarfilme, deren ästhetische Verfahren zwar vorhersehbar bleiben, die aber durch die emotionale Kraft ihrer Bilder fesseln. Man bleibt eben nicht unbeteiligt, wenn man auf der Leinwand zusieht wie ein panisch werdender Polizist seine Pistole abdrückt gegen die Demonstranten.
Welche Erwartungen formulieren arabische Kulturschaffende an Deutschland und Europa?
Dass man ihnen zuhört. Dass der Westen ehrlich umgeht mit seiner langjährigen Unterstützung für die arabischen Diktaturen. Dass man keinen "akademischen Tourismus" pflegt, wo Kuratoren und Wissenschaftler einfliegen und die arabischen Kulturaktivisten lediglich als Auskunftsgeber und Materiallieferanten für eigene Produktionen betrachten. Man will endlich Selbstbestimmung – auch gegenüber dem Rest der Welt. Und man will Mobilität – Isolation war gestern.
Das Gespräch führte Loay Mudhoon
Redaktion: Gudrun Stegen