Sportlicher Erfolg oder volles Konto?
31. Januar 2019Stell dir vor, du bist ein Weltklasse-Radprofi, darfst aber plötzlich nur noch auf einem Holland-Rad antreten. Oder man nimmt dir als Formel-1-Fahrer deinen Boliden weg und setzt dich in einen VW-Käfer. Während die meisten anderen Sportler sich keine Gedanken darüber machen müssen, dass ihnen mal nicht das bestmögliche Sportgerät zur Verfügung stehen könnte, ist das bei vielen Reitern anders. Denn die Pferde, die sie reiten, gehören in der Regel nicht ihnen selbst, sondern Gestütsbesitzern, Züchtern oder Investorengruppen. Die wollen ihre Tiere zwar siegen sehen, viele von ihnen sind aber auch daran interessiert, sie irgendwann gewinnbringend zu verkaufen.
Ehning: "Es war klar, dass verkauft wird"
So steht Deutschlands Top-Reiterin Laura Klaphake seit Jahresbeginn ohne Top-Pferd da, weil Besitzer Paul Schockemöhle ihre Ausnahmestute "Catch me if you can" - wie kolportiert wird, für einen zweistelligen Millionenbetrag - an den tschechischen Unternehmer Petr Kellner verkauft hat. Kellner ist Multi-Milliardär, laut Forbes reichster Mann Tschechiens, und er unterstützt und fördert seine Tochter Anna Kellnerova, die ebenfalls eine ambitionierte Springreiterin ist. Klaphakes zweitbestes Pferd "Silverstone" hatte Kellner bereits ein Jahr zuvor von Schockemöhle gekauft - angeblich ebenfalls für einen zweistelligen Millionenbetrag.
Für Deutschlands Spitzenreiter Marcus Ehning sind das normale Vorgänge. Der Markt und die Preise für Spitzenpferde, so Ehning, hätten sich in den vergangenen Jahren extrem entwickelt: "Es gibt immer mehr gute Pferde und immer mehr gute Reiter aus verschiedenen Nationen. Die Nachfrage ist sehr hoch." Allerdings seien nur in seltenen Fällen die Reiter selbst die Käufer eines der Top-Pferde. "Die meisten Reiter können sich das einfach nicht leisten."
Auch Ehnings drei beste Turnierpferde "Pret a Tout", "Cornado" und "Comme il faut" gehören nicht ihm selbst. Der 44-Jährige hat schon mehrfach in seiner Karriere erlebt, dass seine Top-Pferde verkauft wurden, sieht das aber pragmatisch: "Ich bin in der Regel immer dafür gewesen, zu verkaufen, wenn es um so viel Geld ging", sagt er im Gespräch mit der DW und nimmt "Catch me if you can"-Besitzer Schockemöhle fast ein wenig in Schutz: "Paul Schockemöhle hätte die Stute auch schon früher verkaufen können", sagt Ehning, der im vergangenen Jahr an der Seite Klaphakes den Nationenpreis beim CHIO in Aachen gewann und Mannschaftsbronze bei der WM in Tryon holte. "So hat er Laura noch die Möglichkeit gegeben, das Pferd zu entwickeln. Es war aber klar, dass es früher oder später verkauft wird."
Rückstufung aus dem Olympia-Kader
Für Laura Klaphake bedeutet der Verlust von "Catch me if you can" nichtsdestotrotz einen Knick in ihrer Karriere, die gerade sehr gut lief. Auf "Catch me", wie sie ihr Pferd liebevoll nannte, entwickelte sie sich zur EM- und WM-Reiterin für Deutschland, war zwei Jahre lang festes Mitglied der deutschen Nationenpreis-Equipe und feierte nicht zuletzt beim Mannschaftswettbewerb in Aachen im vergangenen Sommer einen emotionalen Erfolg.
Emotional ist sie jetzt verständlicherweise auch, wenn es um ihr ehemaliges Pferd geht. Mit der DW möchte Klaphake nicht über den Verlust von "Catch me" sprechen, zu tief sitzt die Wunde. "Das war ziemlich hart für mich", hatte die 25-Jährige zuvor gegenüber dem Fachmagazin "Reiter Revue" geäußert: "Erst 'Silverstone' und jetzt 'Catch me'. Das macht mich unheimlich traurig."
Statt im Nationalkader reitet Klaphake nun zunächst nur noch im Perspektivkader. "Wir stellen nach Leistung auf. Nachdem das Pferd verkauft war und sie kein gleichwertiges Pferd hatte, war das die logische Konsequenz", erklärt Springreit-Bundestrainer Otto Becker die Rückstufung gegenüber der DW und analysiert die Situation seines Schützling so: "Laura muss sich jetzt neue Pferde aufbauen. Sie hat ein paar sehr vielversprechende Pferde, aber die haben natürlich noch nicht die Erfahrung auf diesem Niveau und müssen sich erst beweisen." Das, so Becker, sei ein Prozess, der Monate oder sogar mehrere Jahre dauern könne: "Man muss das Glück haben, die passenden Pferde zu finden, und es ist ein langer Weg, sie an die Spitze zu bringen. Diesen Weg muss Laura jetzt wieder gehen."
Drei gute Nachrichten
Die erste gute Nachricht aus Sicht von Laura Klaphake: Ihre sechs aktuellen Pferde, von denen sie den zehnjährigen "Bantou Balou" im deutschen Perspektivkader reitet, stellen deutlich besseres "Sportmaterial" dar als das Holland-Rad und der VW-Käfer aus den etwas extremen Eingangsbeispielen.
Die zweite gute Nachricht: Mit Otto Becker hat sie einen Bundestrainer an ihrer Seite, der ihre Qualitäten hoch schätzt: "Sie ist eine gute Reiterin, außerdem jung, motiviert und ehrgeizig", sagt Becker. "Ich bin überzeugt, dass wir sie noch lange Jahre im Top-Sport sehen werden."
Und schließlich die dritte und vielleicht beste Nachricht: Zwar gehören alle ihre Turnierpferde erneut Paul Schockemöhle, doch hat die Reiterin künftig mehr Mitspracherecht, wenn es um die Frage geht: verkaufen oder behalten? Das bestätigt ihr Vater Joseph Klaphake gegenüber der DW: "Wir hoffen, dass sich Lauras Nachwuchspferde positiv entwickeln und sich eines davon als potenzielles Championatspferd herausstellt. Für diesen Fall haben wir eine gemeinsame Regelung gefunden, damit ein solches Pferd auch für Laura gehalten werden kann." Damit besteht die große Chance, dass Laura Klaphake erneut ein Pferd an die Weltspitze heranführt, es diesmal aber anschließend auch weiterhin reiten darf.