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Instrumentalisierte Empörung

21. Juli 2009

Die Empörung in der islamischen Welt über die Ermordung Marwa al-Sherbinis darf den Blick auf eine positive Einwicklung bei der Integration der Muslime hierzulande nicht verstellen, meint Loay Mudhoon.

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Bild: DW

Das Ritual ist uns allzu bekannt und ruft fast in regelmäßigen Abständen Irritationen in den ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen dem "Westen" und der "islamischen Welt" hervor: Nach einer schrecklichen Tat folgt in der Regel ihr programmierter Missbrauch für Propagandazwecke, häufig in Form politischer Instrumentalisierung, angereichert mit viel Polemik und unzulässigen Verallgemeinerungen.

Und so verwundert es nicht, dass ausgerechnet der umstrittene und wegen seiner notorischen Holocaust-Leugnung international geächtete iranische Präsident Ahmadinedschad die brutale Ermordung Marwa al-Sherbinis zum Anlass nimmt, die Vereinten Nationen aufzufordern, Strafmaßnamen gegen Deutschland zu verhängen.

Zwar gehören polemische Angriffe auf den Westen zum Standardrepertoire ultrakonservativer und regimetreuer Medien in der Islamischen Republik - die Äußerungen Ahmadinedschads sind jedoch nicht nur infam angesichts der miserablen Menschenrechtsbilanz seiner wenig rühmlichen Herrschaft: Sie stellen einen leicht durchschaubaren Versuch dar, von der brutalen Niederschlagung der friedlichen Proteste nach seiner zweifelhaften Wiederwahl abzulenken. Herr Ahmadinedschad und seine Mitstreiter sitzen buchstäblich im Glashaus.

Mangel an Empathie und kritischer Selbstreflexion

Gewiss haben sowohl das relative Desinteresse der hiesigen Medien, die den bestialischen Mord zunächst im Ressort "Vermischtes" behandelten und seine islamfeindliche Dimension fatalerweise außer Acht ließen, als auch die "spärlichen Reaktionen" (Stephan J. Kramer) deutscher Spitzenpolitiker nach der Tat zu Irritationen geführt – und die anfänglich weitgehend echte Empörung bei den meisten einfachen Muslimen über den Mord verstärkt.

Aber nicht nur das: Diese Versäumnisse haben es den Demagogen und Scharfmachern in Teheran und Kairo leicht gemacht, die Tragödie Marwa al-Sherbinis zu vereinnahmen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Und so wurde Marwa schnell zur "Kopftuchmärtyrerin in Europa" stilisiert. In einigen arabischen Massenmedien wurden gezielt Vorurteile gegen Deutschland geschürt und Zerrbilder gezeichnet, als herrsche hierzulande ein Klima der Angst und Verfolgung, eine Art Pogromstimmung gegen Muslime, und als hätte der arbeitslose Russlanddeutsche Axel W., der den Großteil seines Lebens in Perm im Uralgebiet verbrachte, wo ausländer- und islamfeindliche Übergriffe an der Tagessordnung sind, im Auftrag der Bundesregierung gehandelt!

Inzwischen hat die Bundesregierung in unmissverständlichen Worten ihre Abscheu über diese grauenvolle Tat zum Ausdruck gebracht und klar gemacht, dass es in Deutschland keinen Raum für Fremdenhass gibt; und in den deutschen Qualitätsmedien entbrannte eine Kontroverse um das Phänomen der Islamfeindlichkeit. Ist also alles wieder gut? Leider nicht, weil irrationale Feindbilder und die Suche nach Märtyrern keine Differenzierungen erlauben.

Unzulässige Verallgemeinerungen

Zweifelsohne ist der Mord an Marwa al-Sherbini aufgrund der klaren Äußerungen des Täters als islamfeindlich zu bewerten. Er ist und bleibt jedoch ein Einzelfall.

Es darf aber nicht die Tatsache übersehen werden, dass im medialen Diskurs erhebliche Fehlentwicklungen zu beklagen sind: Medienwirksame "Islamkritiker" machen "den Islam" für alles Elend dieser Welt verantwortlich und stellen in der Regel alle Muslime unter Generalverdacht, oft ohne zwischen dem Islam und dem Islamismus strikt zu trennen und ohne zwischen berechtigter, sachbegründeter Kritik an Missständen im islamischen Kontext und bloßer Agitation zu unterscheiden.

Doch weder fehlende Empathie und anteilnahmslose Berichterstattung in den Medien noch späte politische Stellungnahmen können als Rechtfertigung für überzogene Kritik, unzulässige Verallgemeinerungen und Vorwürfe in Hinblick auf das muslimische Leben in Deutschland herhalten, so wie sie beispielsweise der bekannte ägyptische Literat und Herausgeber der Kulturwochenzeitschrift "Akhbar al-adab" Gamal al-Ghitani vor einer Woche erhob.

Al-Ghitani schreckte nämlich in einem Artikel, der im eigenen Blatt erschien, vor der diffamierenden, populistischen Behauptung nicht zurück, es gebe in Deutschland "einen neuen Nazismus, deren Opfer die Muslime sind", und benutzte den Vorfall nebenbei, um den Chefredakteur der angesehenen kulturpolitischen Zeitschrift "Fikrun wa Fann", die sich seit mehr als vierzig Jahren dem Kulturdialog zwischen Europa und der islamischen Welt widmet, mit unerträglichen Vorwürfen zu überziehen.

Ob al-Ghitanis Motive persönlicher Kränkung entspringen oder nur eine kalkulierte Provokation darstellen, sei dahin gestellt; sie sind jedenfalls absurd und entbehren in dieser Form jeglicher Grundlage.

Positive Wende im Umgang mit dem Islam

Ein weiterer tragischer Aspekt der Debatte zeigt sich daran, dass sowohl die instrumentalisierte Empörung in der muslimischen Welt als auch die entbrannte Diskussion um die vermeintliche deutsche Islamfeindlichkeit den Blick auf eine Wende zum Positiven zwischen dem deutschen Staat und den deutschen Muslimen zu verstellen droht.

Denn dank der vom Bundesinnenminister initiierten Islamkonferenz wurde erstmals ein Rahmen für einen institutionalisierten Dialog zwischen Vertretern des deutschen Staats und der islamischen Gemeinschaft geschaffen. Dieser Prozess des offenen Dialogs zwischen dem Staat und seinen Muslimen hat bereits die gegenseitige Wahrnehmung und Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage gestellt.

Zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte bekennt sich ein deutscher Innenminister dazu, dass der Islam ein Teil von Deutschland ist. Zwar fehlen noch die Voraussetzungen für die formale Anerkennung der Muslime als Körperschaft des öffentlichen Rechts - die gefühlte Anerkennung der Muslime in der Öffentlichkeit hat aber spürbar zugenommen, was sich nicht zuletzt an den Reaktionen auf die "Kermani-Affäre" zeigte.

Es liegt nun an den deutschen Muslimen selbst, sich auf einen breiten Konsens über eine repräsentative Vertretung zu einigen, um die politisch angestrebte Einbürgerung des Islam erfolgreich zu institutionalisieren, statt sich auf Scheindebatten wie den Schwimmunterricht von Schülerinnen zu konzentrieren. Auf eine Rückversicherung im Heimatland ihrer Vorfahren können die deutschen Muslime getrost verzichten, denn ihre Heimat ist Deutschland.

Autor: Loay Mudhoon
Redaktion: Anne Allmeling