Indonesien: Schwellenland am Wendepunkt
16. Oktober 2014Indonesiens Wirtschaft boomt seit Jahren, angeheizt vom weltweiten Rohstoffmarkt. Der Inselstaat ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von knapp 900 Milliarden US-Dollar Südostasiens größte Volkswirtschaft.
Eine konsumfreudige Mittelschicht ist herangewachsen, Shopping-Malls und exklusive Wohnanlagen entstehen allerorts. Doch lange nicht alle Indonesier profitieren vom Aufschwung.
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst und das Wirtschaftswunder steht nicht nur deshalb auf der Kippe.
Fehlende Arbeitsplätze, Mangel an Infrastruktur und Korruption sind nur einige der Baustellen für den neuen Präsidenten, Joko Widodo.
Der ehemalige Gouverneur von Jakarta tritt am 20. Oktober 2014 sein Amt als Präsident an.
Junge Bevölkerung, zu wenig Arbeitsplätze
"Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es dort drinnen aussieht", sagt Nahrawi mit einem scheuen Blick auf die Fassaden der Konsumtempel inmitten von Jakartas Geschäftsviertel. "Mir scheint, als seien diese Orte nur für reiche Leute gedacht."
Umgeben von edlen Hotels und Shopping Malls verkauft der 27-Jährige auf seinem alten Fahrrad Tütensuppen und Kaffee. Vor zehn Jahren verließ er dafür sein Dorf in Ost-Java. Als Reisbauer gab es für ihn auf dem Land keine Zukunft.
Jetzt nimmt Nahrawi mit seinem kleinen Geschäft umgerechnet fünf Euro am Tag ein – und verdient dabei immerhin mehr als die 40 Prozent der Indonesier, die mit einem Tagelohn von 1,50 Euro auskommen müssen.
Rund 70 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Indonesiens wird von der informellen Wirtschaft, von einfachen Dienstleistern und Tagelöhnern wie Nahrawi bestimmt. Für die überwiegend junge Bevölkerung Indonesiens stehen im formellen Sektor nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung.
Jokowi setzt auf Bildung und Investitionen
Für den Wirtschaftsexperten Eric Sugandi von der Standard Chartered Bank in Jakarta ist klar, dass der Arbeitsmarkt allein das Problem der ungleichen Einkommensverteilung nicht lösen kann.
Er sieht die Lösung vor allem in einer neuen Bildungspolitik: "Die Regierung muss der jungen Generation, die nach einer besseren Ausbildung strebt, auch die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellen."
Kostenlose Bildung für die Armen – das war auch eines der zentralen Wahlversprechen von Joko Widodo, genannt Jokowi, dem neuen Präsidenten. Das Vorhaben soll durch die Drosselung der hohen Treibstoffsubventionen finanziert werden. Jokowi setzt nun vor allem auf Investitionen, um das Arbeitskräftepotenzial im Land zu nutzen.
In einem Exklusiv-Interview mit der DW beschreibt Jokowi seine wirtschaftspolitischen Prioritäten: "Wir werden unsere Bürokratie reformieren, damit sie transparenter und effizienter wird. Ebenso wollen wir langwierige Genehmigungsverfahren vereinfachen, was Unternehmen zugute kommen wird. Dies schafft ein positives Investitionsklima für Anleger, die sich in Indonesien engagieren möchten."
Unternehmer hoffen auf bessere Bedingungen
Das hört Unternehmerin Fahima gerne. Sie besitzt drei Unternehmen, darunter eine digitale Werbefirma mit 40 Angestellten. Seit acht Jahren ist sie damit erfolgreich und will weiter expandieren.
Unternehmer haben es in Indonesien jedoch nicht immer leicht: "Das Gesetz, Regulierungen und die Bürokratie sind die größten Hindernisse bei der Unternehmensgründung", betont Fahima.
Sie hofft nun auf den neuen Präsidenten, auf Erleichterungen für Unternehmer und Investoren. Doch gleiche Bedingungen für alle sieht sie auch unter Jokowi nicht: "Chancengleichheit ist ein Mythos – jeder muss für seinen eigenen Traum kämpfen."
Für Kaffeeverkäufer Nahrawi ist jeder Tag ein Kampf: "Das Leben in Jakarta ist hart", beklagt er. "Wenn ich einen Tag nicht arbeite, dann bin ich schon verschuldet." Er hofft, dass informellen Kleinunternehmern wie ihm unter dem neuen Präsidenten mehr Freiheiten gewährt werden. "Ich würde mich schon freuen, wenn wir nicht ständig von den Sicherheitsbeamten weggeschickt werden", sagt er und lacht.
Wirtschaftliche Ungleichheit unvermeidbar?
Wird es Indonesien schaffen, die Schere zwischen Arm und Reich zu vermindern? Hohes Wirtschaftswachstum und steigende soziale Ungleichheit – für wachsende Schwellenländer sei das unvermeidbar, glauben viele Ökonomen.
Auch Eric Sugandi von der Standard Chartered Bank unterstreicht diese These: "Als China und Indien große Wachstumsraten erzielten, hat sich das Einkommensgefälle rapide erhöht. Das ist für Schwellenländer wohl unumgänglich. Manche Länder, etwa Japan nach dem Krieg, haben es geschafft, bei hohen Wachstumsraten die wirtschaftliche Ungleichheit niedrig zu halten – dies erfordert jedoch eine Umverteilung des Einkommens seitens der Regierung.“
Ob wirtschaftliche Ungleichheit ein Übergangsphänomen ist oder ein Dauerzustand bleibt, liegt also in den Händen der Politik. Das Schwellenland Indonesien steht an einem wichtigen Wendepunkt – dabei richten sich alle Hoffnungen auf Präsident Joko Widodo. Seine größte Herausforderung wird es nun sein, die allseits hohen Erwartungen an ihn zu erfüllen.