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Indiens Problem mit Röcken

Katja Keppner7. September 2016

Indiens Tourismus-Minister Mahesh Sharma ist mit Kommentaren zum "angemessenen" Auftreten von Frauen schon öfters auf Kritik gestoßen. Warnhinweise für Touristinnen an Flughäfen sind nur das jüngste Beispiel.

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Glückliche Frau im weißen Strandkleid (Foto: Fotolia/detailblick)
Bild: Fotolia/detailblick

Ein belebter Marktstand, irgendwo in Indien. Zwei Rucksacktouristinnen, tiefes Dekolleté und kurze Röcke, fragen bei einem der Händler nach dem Weg. Plötzlich werden sie belagert und umringt von Männern, die lautstark ihre Dienste anpreisen. Die Frauen flüchten in Richtung Straße auf der Suche nach der nächsten Rikscha. Plötzlich taucht Bollywoods Superstar Aamir Khan auf und erklärt den Männern, dass sie die Touristinnen gefälligst in Ruhe lassen sollen. Schließlich könne jede einzelne davon auch ihre Schwester sein.

Soweit der Plot eines Werbespots aus der "Incredible India"-Kampagne der indischen Regierung aus dem Jahr 2008. Heute, wo die konservative hindunationalistische BJP regiert, rät der indische Tourismusminister Mahesh Sharma hingegen dazu, besser keinen Rock zu tragen, abends nicht alleine unterwegs zu sein und zur Sicherheit ein Foto des Taxinummernschildes an Freunde und Familie zu schicken. All diese Hinweise finden Touristen nun in einem Info-Blatt, das sie am Flughafen erhalten.

Frauen-Demonstration in Neu Delhi: Wir müssen uns nicht wegen unserer Kleidung schämen (Foto: dapd)
Protest gegen die in Indien weitverbreitete Vorstellung, dass Frauen durch "schamloses" Auftreten selber Schuld an sexueller Belästigung wärenBild: dapd

Aufregung in Indiens sozialen Netzwerken

Solche Hinweise stehen übrigens auch in den gängigen Reiseführern über Indien. Auch das Auswärtige Amt empfiehlt, "situationsangemessenes und kulturbewusstes Verhalten ... vor dem Hintergrund der Berichte über sexuelle Übergriffe, vor allem auch für alleinreisende Frauen."

In Indien selbst jedoch sorgen die Ratschläge für die richtige Bekleidung für Frauen, formuliert von einem indischen Minister, für Hohn und Spott. Vor allem in den sozialen Netzwerken. "Wie können Sie kein Taliban sein? Die wollen auch kontrollieren, was wir anziehen und essen", twitterte zum Beispiel Rajesh Sharma von der oppositionellen Aam-Aadmi-Partei. "Sollen männliche Touristen dann nur noch den traditionellen Kurta Pyjama tragen dürfen?", fragt Newsflicks, ein indisches Nachrichtenportal. Entsetzt twitterte auch Swati Maliwal, Leiterin der Delhi-Kommission für Frauen: "Ich kann es nicht glauben, dass Politiker immer noch Vergewaltigung mit dem Tragen eines Rocks gleichsetzen. Es ist so einfach, sich vor der Verantwortung zu drücken und die Kleidung einer Frau als Ursache allen Übels zu bewerten."

Auch, als der Minister zurückruderte und darauf beharrte, dass sich die Tipps lediglich auf den Besuch religiöser Stätten bezögen, hagelte es Kritik. "Schreib Frauen nicht unter dem Mantel indischer Kultur etwas vor", hieß es da zum Beispiel unter dem Hashtag #skirts.

Zwischen Weltoffenheit und Abwehr von "Verwestlichung"

Premier Narendra Modi präsentiert sich auf seinen zahlreichen Reisen zu den Mächtigen der Welt gerne als weltoffener Staatsmann, der in sein Land einlädt. Dabei richtet er sich sowohl an ausländische Investoren als auch an Touristen. Gleichzeitig sorgen immer wieder Politiker seiner Partei mit Äußerungen über das Verhalten von Frauen für Kopfschütteln. Gerne wird das Problem von sexueller Belästigung und Gewalt gegen Frauen als Folge einer zunehmenden Verwestlichung beschrieben, die Einzug in die Städte gehalten habe. Auch Tourismusminister Sharma war bereits mit der Bemerkung aufgefallen, es sei nicht Teil der indischen Kultur, wenn Mädchen abends ausgehen. Zudem versprach er damals, Indien vor dem Vordringen westlicher Kultur zu schützen. Frauen und Aktivisten kritisieren seit langem, dass bei dieser Argumentation die Schuld für sexuelle Übergriffe den Frauen zugeschoben würde.

Ausländische Touristinnen in Indien bemalt beim Holi-Fest (Foto: picture-alliance/robertharding)
Ausländische Touristinnen in Indien fühlen sich nicht immer so unbeschwertBild: picture-alliance/robertharding

Tourismussektor befürchtet Einbußen

"Natürlich sind solche Äußerungen schlecht fürs Geschäft", erklärt Reiseleiterin Aparna Phalnikar gegenüber der DW. "Das Image ist sowieso schon beschädigt. Seit der Massenvergewaltigung (einer Studentin im Jahr 2012 in Neu Delhi - die junge Frau starb zwei Wochen später - Red.) sehen viele Menschen im Ausland Indien als ein Land, das gefährlich ist für Frauen. Dieses Image schadet dem Tourismus." Viele Reiseveranstalter verzeichneten einen Rückgang weiblicher Touristen, insbesondere von alleinreisenden Frauen. Auf sie hat sich Rashmi Chadha mit ihrer Reiseagentur spezialisiert. "Unseren Kundinnen passiert nichts, denn wir passen gut auf sie auf", betont Rashmi Chadha gegenüber DW. "Aber natürlich geben wir ihnen vor einer Reise auch entsprechende Hinweise: Wenn du in einen Slum gehst, zieh dich als Frau möglichst bedeckt an. Und wenn es unangenehm wird raten wir: lächeln, sich entschuldigen und den Ort so schnell wie möglich verlassen." Der Tourismusminister sollte jedoch eher an einer Lösung des Problems arbeiten, anstatt den Frauen Ratschläge zur Kleidung zu geben, erklärt die Reiseunternehmerin.

Laut der indischen Kriminalstatistik für 2015 ist die Anzahl der Gewaltverbrechen an Frauen gegenüber dem Vorjahr um drei Prozent auf 327.394 registrierte Fälle zurückgegangen. Auch die Zahl der zur Anzeige gebrachten Vergewaltigungen sank laut National Crime Records Bureau um fünf Prozent. Hier führt die Hauptstadt Neu Delhi nach wie vor die Statistik an. Daneben verzeichnete die Behörde einen leichten Anstieg von Stalking-Fällen und sexueller Belästigung. In 95 Prozent der Fälle kannten die Opfer ihren Täter. Die Opfer sind meist indische Frauen, aber Übergriffe auf Touristinnen sorgen regelmäßig für Schlagzeilen.

Brief an die Enkelinnen

Nach Tagen der Debatte im Netz und in indischen Nachrichtensendern hat sich inzwischen wieder ein Bollywood-Star zu Wort gemeldet. Der wurde sogar lange als Nachfolger für Aamir Khan als Botschafter der Incredible India-Kampagne gehandelt. The Big B, wie Amitabh Bachchan von seinen Anhängern genannt wird, verfasste einen offenen Brief an seine zwei Enkelinnen und teilte ihn auf seinem Twitteraccount. Unter anderem hieß es da: "Lasst euch von niemanden erzählen, dass die Länge eures Rocks ein Maßstab für euren Charakter ist." Ob er sich damit auch auf die Äußerungen des Ministers bezog, ließ er offen.