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Politik

Indien beim russischen "Wostok"-Manöver

5. September 2022

Indien zwischen militärischer Abhängigkeit von Russland und Partnerschaft mit dem Westen: Die Teilnahme am "Wostok"-Manöver zeigt die heikle Gratwanderung.

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Wostok 2022 Militärübung in Russland, feierliche Eröffnung
Eröffnung der Wostok-Übung am 31.08.2022Bild: Russian Defence Ministry/REUTERS

Am derzeitigen multinationalen Manöver "Wostok (Osten)-2022" der russischen Armee nehmen als asiatische Schwergewichte China und Indien teil. Die Teilnahme Chinas fügt sich in die seit dem Beginn des Ukraine-Krieges beschworene "felsenfeste Freundschaft" zwischen Moskau und Peking ein. China hatte bereits 2018, bei den vorangegangenen Wostok-Manövern, als erster Staat außerhalb des Kreises ex-sowjetischer Länder, teilgenommen. Diesmal nimmt es erstmals mit Beteiligung aller drei Teilstreitkräfte an einer russischen Militärübung teil, wie die parteinahe Zeitung "Global Times" hervorhebt. Dies zeige die "Breite und Tiefe der russisch-chinesischen Militärkooperation und das gegenseitige Vertrauen zwischen beiden Ländern."

Der Fall Indien ist komplexer: Das Land, oft als größte Demokratie der Welt bezeichnet, hat zwar enge militärische Beziehungen zu Russland, ist ebenso aber auch Partner westlicher Staaten, auch in militärischer Hinsicht. So nimmt Indien zusammen mit westlichen Staaten am Manöver "Pitch-Black" in Nord-Australien teil. An diesem beteiligen sich außer einigen NATO- und ASEAN-Staaten auch Mitgliedsländer des sogenannten Quad-Bündnisses aus USA, Australien, Japan und Indien.

Um die außenpolitische Bedeutung der Teilnahme Indiens an "Wostok" angemessen einzuschätzen, müsse man sie mit der an "Pitch Black" vergleichen, sagt Swasti Rao, Associate Fellow am Manohar Parrikar Institute for Defence Studies and Analyses in Delhi: Anders als an dem russischen Manöver, an dem Indien nur auf Stabsebene an Land teilnehme, sei Indien an der Übung in Australien mit einem ungleich größeren Kontingent und "hundertprozentig" beteiligt. In der Summe, sagt Swasti Rao, signalisiere Indien: "Die Handels- und Verteidigungsbeziehungen zu Russland existieren zwar weiterhin. Aber zugleich räumt Indien seinen westlichen Partnern und den Partnern im Quad-Bündnis höheres Gewicht ein."

Wostok 2022 Militärübung in Russland
"Wostok" Militärübung 2022 unter der Führung von RusslandBild: RUSSIAN DEFENCE MINISTRY/AFP

Enge Beziehungen zu Russland

Dessen ungeachtet sind die militärischen Beziehungen Indiens zu Russland eng. So ist Russland Indiens größter Waffenlieferant. Einem Bericht der Zeitung "India Today" zufolge bilden russische Waffen den mit Abstand größten Teil des indischen Militärarsenals. 2018 hatte Indien mit Russland ein Abkommen im Wert von 5,5 Milliarden Dollar unterzeichnet, das die Lieferung von fünf Boden-Luft-Raketensystemen mit großer Reichweite vorsieht. Indien benötigt diese Waffen eigenen Angaben zufolge, um einer Bedrohung durch China zu begegnen.

Insgesamt habe die indische Luftwaffe alleine gut 200 Kampfflugzeuge aus russischer Produktion, sagt Adrian Haack, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi. Hinzu kämen viele ebenfalls in Russland produzierte Fluggeräte, so etwa Transportflugzeuge, Marineflieger oder Hubschrauber. Das Heer verfüge zudem über gut 7000 Panzerfahrzeuge aus russischer Produktion sowie eine Reserve von weiteren 3000 Panzern. Demgegenüber stehen rund 250 Panzer anderer Bauart. Noch stärker seien die indische Marine und die Atomkräfte von Russland ausgerüstet.

Weltzeit 1 | 2022
(Archiv) Indiens Premier Modi (l.) traf Russlands Präsident Putin im Dezember 2021 in Neu DelhiBild: Pib Pho/Press Information Bureau/ZUMAPRESS.com/picture alliance

All dies mache das indische Militär von Russland extrem abhängig, so Haack im DW-Interview. Denn zum einen sei die indische Wehrfähigkeit nicht mehr gegeben, sobald irgendwann der technische Support sowie Upgrades aus Russland ausblieben. Zum anderen seien die Armeen auch durch gemeinsame Ausbildungsgänge und gemeinsame Manöver eng miteinander verflochten. "Fast  jeder Stabsoffizier in Indien hat schon einmal an einem Lehrgang in Russland teilgenommen. Die allermeisten Soldaten nutzen ihr ganzes Berufsleben lang nur russische Waffensysteme. Es handelt sich also um sehr lange gewachsene Verbindungen."

"Demonstration strategiescher Autonomie"

Indien wolle mit der Teilnahme an dem Manöver seine außenpolitische Unabhängigkeit und seine strategische Autonomie demonstrieren, sagt Christian Wagner, Südasien-Experte des Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dabei gehe das Land sehr behutsam vor. Dies zeige sich an der geringen Größe der zum russischen Manöver entsandten Delegation ebenso wie an der Entscheidung, nur an den Übungen zu Land, nicht aber denen auf See teilzunehmen.

Beide, die geringe Mannschaftsstärke wie auch Beschränkung auf den Landteil des Manövers, seien eine Art Botschaft an politische Partner, so Wagner. Zum einen signalisiere Indien den westlichen Staaten, dass seine Teilnahme an dem Manöver vor allem symbolischer Natur sei. An Japan hingegen sei die Botschaft gerichtet, dass Indien sich in den russisch-japanischen Streit um die Inselgruppe der Kurilen nicht einmischen wolle.

Indien Tawang | Indische Soldaten nahe Grenze zu China
(Archiv) Indische Soldaten an der Grenze zu ChinaBild: MONEY SHARMA/AFP/Getty Images

Schaden der Reputation?

Während die Europäer das derzeitige Manöver vor allem vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine sehen, dominiere in Indien eine andere Perspetkive, sagt Adrian Haack von der Konrad-Adenauer-Stiftung: In Delhi habe man vor allem die Beziehungen zu China im Blick und unterschätze gleichzeitig den Schaden an der eigenen Reputation im Westen.

Ungeachtet der Teilnahme beider Staaten an der russischen Militärübung gelte Indiens Sorge nämlich dem angespannten Verhältnis zum nördlichen Nachbarn. Beide Staaten beanspruchen Gebiete an der Landgrenze im Himalaya. Im Frühjahr 2020 kam es zu Zusammenstößen zwischen Soldaten beider Staaten. Dabei starben Medienberichten zufolge bis zu 60 Personen.

Indien stehe in strategischer Sicht mit dem Rücken zur Wand, sagt Adrian Haack. Im Konfliktfall dürfte China Indien im Himalaya überlegen sein. Sorge bereiteten Delhi zudem die rund um Indien bestehenden oder im Entstehen begriffenen Marinestützpunkte mit chinesischer Präsenz, so in Pakistan, Sri Lanka, Myanmar, Dschibuti und auf den Malediven. "Das heißt, Indien ist von Land und von See von zwei Feinden - China und Pakistan - umgeben, die zusammengenommen deutlich besser gerüstet sind. Und jetzt erlebt man gleichzeitig, dass der größte Versorger mit Rüstungsgütern und langjährige Verbündete Russland immer stärker in den Orbit Chinas gerät", fasst Haack die unangenehme Lage Indiens zusammen.

Wostok 2022 Militärübung in Russland
Chinesische Soldaten nehmen am Manöver stattBild: RUSSIAN DEFENCE MINISTRY/AFP

Rivalität zu China

So sei die Teilnahme an dem Manöver auch ein Versuch, diesen über viele Jahrzehnte verlässlichen Verbündeten zu halten - wenngleich man sich darüber bewusst sein müsste, dass dies wohl kaum gelinge. "Die Alternative, jetzt nicht an dieser Übung teilzunehmen, würde letztlich ein klares Signal an Moskau senden, dass Russland sich voll auf die Seite Chinas schlagen kann."

In den westlichen Hauptstädten sei man sich des indischen Problems bewusst, sagt Christian Wagner von SWP. Man sei sich dort auch im Klaren, dass man mit Indien geopolitische Gemeinsamkeiten gegenüber China habe. "Darum versucht man Indiens Abhängigkeit von Russland zu verringern. Denn wenn ein durch Sanktionen geschwächtes Russland sich stärker China zuwendet, könnte das natürlich auch Einfluss auf die russischen Rüstungsexporte nach Indien haben." Darum denke man in den westlichen Hauptstädten darüber nach, militärisch künftig enger mit Indien zu kooperieren, auch in Form verstärkter Waffenlieferungen, die mögliche russische Ausfälle kompensieren und Indien enger an den Westen binden sollen. Noch aber, sind sich die beiden Experten einig, seien diese Angebote nicht hinreichend, Indien sehe sich weiter in einer außen- und verteidigungspolitisch schwierigen Lage.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika