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GesellschaftIndien

Indien: Online-Spiele boomen, Frauen erleben Missbrauch

Nidhi Suresh
12. Juni 2023

In Indien werden mehr Online-Spiele heruntergeladen als in jedem anderen Land. Unter den Nutzenden sind immer mehr Frauen. Sie werden dabei aber benachteiligt, bedroht und missbraucht. Aus Delhi Nidhi Suresh.

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Online-Spiel auf einem Smartphone
Mehr als 500 Millionen Menschen spielen online in IndienBild: TAUSEEF MUSTAFA/AFP/Getty Images

In Indien boomen die Online-Spiele und locken immer mehr junge Menschen an. Sie selbst, sagt die 13 Jahre alte Sana (Name von der Red. geändert), sei mit dieser Art der Unterhaltung erstmals während der Corona-Pandemie in Kontakt gekommen. "Wir mussten damals Online-Kurse besuchen. Dadurch haben wir uns mehr mit unseren Handys beschäftigt. Darüber gerieten wir dann an die sozialen Medien und digitale Spiele", berichtet Sana. Wir ihr sei es auch vielen anderen Mitschülerinnen und Mitschülern gegangen.

Nicht zuletzt wegen der Pandemie hat die Industrie der Online-Spiele in Indien in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Boom erlebt. Dies belegt auch der State of India Gaming Report 2022, herausgegeben von dem auf digitale Spiele spezialisierten Risikokapitalfonds Lumikai und von Amazon Web. Derzeit, so die Autoren der Studie, gebe es in Indien 507 Millionen Spieler - Tendenz steigend. Aufgrund des enormen Anteils junger Menschen an der Bevölkerung wachse die Gruppe der Spielenden um jährlich 12 Prozent. Knapp 28 Prozent der 1,4 Milliarden Menschen in Indien sind zwischen 15 und 29 Jahre alt.

Diese Begeisterung spült der indischen Spieleindustrie enorme Gewinne in die Kassen: Im Jahr 2022 erwirtschaftete sie Einnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro). Bis zum Jahr 2025 sollen Einnahmen von bis zu fünf Milliarden Dollar (4,65 Milliarden Euro) erreichen werden.

Drei Männer schauen auf ihr Smartphone, Szene aus Bombay
Digitalisierung: Das Handy ist aus Indien nicht mehr wegzudenken.Bild: Indranil Mukherjee/AFP/Getty Images

Smartphone und Internetzugang fördern das Spielen

Ihren Aufstieg verdankt die indische Online-Spiele-Industrie vor allem dem kostengünstigen und weit verbreiteten Zugang zu Smartphones und Internet. Zudem streben auch internationale Unternehmen auf den indischen Markt. Die damit verbundenen Möglichkeiten werden von den Menschen intensiv genutzt. So haben die Menschen in Indien im vergangenen Jahr insgesamt 15 Milliarden Downloads getätigt - und damit mehr Handyspiele genutzt als die Menschen in jedem anderen Land, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

"Die Menschen haben herausgefunden, dass sie sich auch von zu Hause aus vernetzen, sich die Zeit vertreiben und sogar Geld verdienen können", sagt Zerah Gonsalves, eine der bekanntesten indischen Online-Spielerinnen und Moderatorin verschiedener Spielturniere, im DW-Interview.

Aus Sicht der Spielenden bringen die Stunden am Computer, Handy oder Tablet oft unerwarteten Nutzen mit sich. "Meine Mutter und ich hatten zu Hause mit viel häuslicher Gewalt zu kämpfen", sagt Khushveen Singh, die vor 16 Jahren in die Welt der Online-Spiele einstieg. "Ich selbst litt als Kind an Depressionen. So war das Spielen für mich immer eine Art Therapie."

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Beleidigungen und obszöne Bilder

Etwa 43 Prozent derjenigen, die in Indien diese Spiele nutzen, sind laut des State of India Gaming Reports weiblich. Im Durchschnitt würden Frauen gut elf Stunden pro Woche mit digitalen Spielen verbringen, Jungen und Männer hingegen eine Stunde weniger pro Woche.

Doch viele Spielerinnen sind über das Internet Missbrauch und Drohungen ausgesetzt. "Selbst wenn wir besser sind als sie, fordern die Jungs uns auf, in der Küche zu arbeiten statt zu spielen", berichtet Singh. Auch würden die Frauen bisweilen dazu aufgefordert, sich zu entkleiden. "Außerdem werden wir vielfach beschimpft. Das hat fast jede Spielerin schon einmal erlebt."

Auch Sana hat in der digitalen Welt bereits Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht. Wiederholt sei sie im Netz Pädophilen begegnet. So habe sie sich online mit einer Person angefreundet, die rasch begann, sehr persönliche Fragen zu stellen. Dann habe die Person ihr gestanden, dass sie bereits für die unerlaubte Weitergabe von Frauenfotos zur Verantwortung gezogen worden sei. Zwar habe sie diese Person dann blockiert, sagt Sana. Doch dann habe diese ihr über ein anderes Konto obszöne Bilder geschickt.

Frauen brauchen mehr digitale Fähigkeiten

"Ich habe das Gefühl, dass die Männer so etwas tun, weil man ihnen nicht beigebracht hat, wie man Frauen zu Hause richtig behandelt", sagt Singh. "Ich selbst habe entsprechende Erfahrung auch in meiner eigenen Familie gemacht".

Ungleiche Gewinnchancen

Und noch einem Missstand sehen sich die weiblichen Spieler gegenüber: Bei Preisgeldern und Sponsorenverträgen erhalten sie erheblich weniger Geld als Männer. Nach Angaben des indischen E-Sport-Verbandes können Männer je nach Turnier bis zu hundert Mal höhere Gewinne erzielen als Frauen.

Dennoch sei der Anteil der weiblichen Spieler im wettbewerbsorientierten E-Sport von 12 Prozent im Jahr 2020 auf 22 Prozent im Jahr 2022 gestiegen, so der Verband der indischen Industrie- und Handelskammern.

Als sie mit dem E-Sport begann, seien nur wenige Frauen mit der Branche vertraut gewesen, sagt die Profi-Spielerin Gonsalves. Oft hätten sie und andere Frauen vor verschlossenen Türen gestanden. "Wie in jedem anderen Bereich mussten wir Frauen doppelt so hart arbeiten wie die Männer, um uns zu beweisen". Jetzt aber suchten viele Frauen und Mädchen in der Spiel-Welt ihren Weg.

Neue Regeln zur Verbesserung des Spielumfelds

Nun kündigte die indische Regierung im April neue Vorschriften zur Standardisierung der Branche an. Auf diese Weise sollen Online-Spieler vor schädlichen Inhalten und vor Spiel-Sucht geschützt werden.

Bislang hätten Glücksspielunternehmen nur "Selbstregulierungsgremien" eingerichtet, sagt Shivani Jha, Leiterin von Welfare Association, einem 2021 gegründeten Verband, der die Interessen der Spielerinnen und Spieler vertritt. "Auf Grundlage des von der Regierung erarbeiteten Regelwerks kann man nun aber obszöne Inhalte innerhalb von 24 Stunden melden."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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