In Slums wächst kein Salat
16. Januar 2004Mit einen acht Meter hohen Maiskolben protestierten Umweltschützer am Mittwoch (14.1.) zum Auftakt einer Tagung in Mecklenburg-Vorpommern gegen Gentechnik in der Landwirtschaft. Und sie haben die Verbraucher auf ihrer Seite: Dem Großteil der Europäer kommt Gen-Food (Nahrung mit gentechnisch veränderten Organismen) nicht auf den Teller – "oft schlichtweg aus Prinzip", so Gentechnik-Experte Peter Beyer von der Universität Freiburg. Denn fundiertes und objektives Wissen über das Thema hätten nur wenige.
Gentechnik contra Züchtung
Ein großer Vorteil der Gentechnik - also dem Austausch von Erbinformationen - sei zum Beispiel, dass sie mit weniger Zeitaufwand und Misserfolgen verbunden sei als klassische Züchtungen. Denn bei der Züchtung wird das gesamte Erbmaterial zweier Organismen gemischt und im Labor bearbeitet. Daher sind die Veränderungen bei den Ergebnissen der Züchtung rein zufällig, betont Beyer und nennt einige Züchtungs-Beispiele: "Nektarinen, Kiwis - wie lange und mit welchen Mitteln daran gezüchtet wurde - das sind Monster, wenn Sie so wollen."
Eine Blume in einer bestimmten, gewünschten Farbe zu züchten, dauert etwa 15 Jahre. Sie muss so lange mit Artverwandten gekreuzt werden, bis das gewünschte Ergebnis perfekt ist - wie beim Farbmischen im Malkasten. Mit Hilfe von Gentechnik dagegen, bei der auch Farbgene außerhalb der Artgrenzen isoliert und weiterverpflanzt werden können - eine Prozedur von wenigen Monaten.
Einmal geforscht, dann hat man's
Zwar müsse man bei der Gentechnik immer eine gewisse Vorlaufzeit für Forschung und Entwicklung einrechnen, so Beyer, doch das sei ein Einmalaufwand wie auch die enormen Anfangskosten der Gentechnologie. Ist die Grundforschung einmal erfolgt, muss nicht - wie bei der klassischen Züchtung - jedes Mal neu investiert werden, erläutert der Gentechnik-Fachmann.
Außerdem könne man bei transgenen - also gentechnisch veränderten Organismen - meist auf weitere Düngung sowie einen Großteil von Giften gegen Schädlinge, Unkraut und Krankheiten verzichten. Weiterer positiver Nebeneffekt: Das Problem, das Schädlinge gegen Unkrautvernichter oder sonstige chemische Mittel resistent werden und immer neue Mittel eingesetzt werden, wird vermieden. So konnte nach Angaben des US-Agrarkonzerns Monsanto der Einsatz von Insektenschutzmittel bei der transgenen New-Leaf-Kartoffel bis zu 42 Prozent gesenkt werden.
"Erstes Flugzeug flog auch nur 300 Meter"
Dennoch läuft nicht immer alles nach Plan: So ist der Versuch, Pflanzen auf eine bessere Stickstoffaufnahme hin zu "trainieren", bislang fehlgeschlagen. Für Beyer kein Grund aufzugeben: "Die Gentechnologie ist am Anfang, auch das erste Flugzeug ist nur 300 Meter geflogen. Deswegen forscht man ja weiter."
Denn der Bedarf an Nahrungsmitteln wächst mit der ansteigenden Weltbevölkerung. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich über acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die Anbaufläche für Lebensmittel, Energie- und Textilrohstoffe schwindet mit jedem neuen Haus, das gebaut wird. Von weniger Raum mehr Ertrag zu ernten, sei eine große Herausforderungen der Zukunft und eine Chance für die Gentechnologie, betont Beyer.
Vorteile für Mensch und Natur
Ertragssteigerung ist das eine, Umweltverträglichkeit das andere: Im asiatischen Raum leben mehr als 60 Prozent der Weltbevölkerung, deren überwiegend auf Reis basierende Ernährung nicht ausreicht, um den Energiebedarf zu decken. Der traditionelle Naßreisanbau fördert jedoch Methan, ein gefährliches Treibhausgas zu Tage. Mittlerweile konnte in Pakistan eine Gen-Reissorte gezüchtet werden, die höhere Erträge liefert und gleichzeitig weniger Methan ausstößt. "Man könnte zum Beispiel auch, das - durch Züchtung entstandene - Kiwi-Gen entfernen, das bei vielen Menschen Allergien auslöst", meint Beyer. Für ihn steht fest: Gentechnologie könnte dazu beitragen, weniger Schadstoffe durch Lebensmittel aufzunehmen, als es bisher geschieht.
Risiken nicht genau vorhersehbar
Zwar kann kein Experte mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, welche Risiken in der Gentechnologie stecken. "Man muss bei jedem Projekt neu klarstellen, ob es für den verfolgten Zweck bessere Alternativen gibt oder nicht", so Beyer. Dennoch ist die neue Technologie schon aus dem Baby-Alter raus: Seit über 30 Jahren wird nun daran geforscht. Der Gesetzentwurf der deutschen Agrarministerin Renate Künast zu Gentechnik in der Landwirtschaft sei das beste Zeichen dafür, dass die Technologie sicher sei: "Immer wenn etwas zugelassen wird, ist es das sicherste, was es gerade gibt."
Bedarf groß, Anbaufläche begrenzt
Außerdem gebe es vor allem in ärmeren Ländern ein gravierendes Ernährungsproblem, das durch Gentechnologie gelindert werden könnte. Es gehe dabei nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität, also die Inhaltsstoffe der Nahrungsmittel, die durch den Einsatz von Gentechnologie gesteuert werden kann. Gerade in Entwicklungsländern leiden viele Menschen an Vitamin-, Eisen- oder Zinkmangel.
Keine Vitamintabletten in Bombay
Ein Slumbewohner in Bombay kann sich die fehlenden Minerale, Vitamine oder Spurenelemente aber nicht durch Tabletten im Supermarkt oder durch eine ausgewogene Ernährung holen. Auch für viele Bauern auf dem Land gebe es kein "Zurück zur Natur", sondern nur eine winzig kleine Parzelle Boden, auf dem das Nötigste angebaut werden kann, sagt Gentechnik-Experte Beyer. "Sag dem mal: Bau doch Salat an statt Reis. Wie soll er sich und seine Familie damit ernähren?"
Kritiker befürchten jedoch, dass die Gentechnologie die Abhängigkeiten der Kleinbauern von den großen Konzernen weiter verantreibt. Dies sei aber kein Einzelproblem der Gentechnologie, sagt Beyer: "Natürlich besteht die Gefahr, dass große Firmen Lizenzen und Rechte beispielsweise als Saatgut-Zulieferer an sich reißen und dadurch Abhängigkeiten entstehen. Das muss durch Regelungen und Gesetze verhindert werden. In jedem Wirtschaftszweig haben wir dieses Problem".
Verbesserung für Mensch und Umwelt
Deshalb gänzlich auf eine Technologie zu verzichten, die einen großen Teil zur Lösung des Ernährungsproblems beitragen könnte, hält Beyer für unrealistisch und unverantworlich. Denn das primäre Ziel von Gentechnik müsse sein, das Leben für Mensch und Umwelt zu verbessern.