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Die Logik der Religion

Kersten Knipp3. November 2012

Der irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki hält seinem alten Verbündeten Assad eisern die Treue. Auch seine anderen Entscheidungen zeigen: Innen- wie außenpolitisch richtet er sich im konfessionellen Denken ein.

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Vorbereitungen für das Opferfest im Irak 2012. (Foto: Munaf al-Saidy, DW),
Bild: DW/Munaf Al-Saidy

Waffen gibt es nicht wenige im Nahen Osten, aber einigen sind es offenbar nicht genug. So jedenfalls kann man die Reise des irakischen Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki Anfang Oktober nach Moskau deuten, auf der er mit dem Kreml einen stattlichen Deal abschloss: Für über drei Milliarden Euro, so verabredeten die Regierungschefs der beiden Länder, soll der Irak von Russland Waffen kaufen. Vor allem Kampfhubschrauber und Raketensysteme standen auf Malikis Einkaufsliste. Schon in den vorherigen Jahren hatte Russland für knapp eine Viertelmilliarde Euro Waffen geliefert. Das war viel, aber wenig im Vergleich zum Handel mit den USA. Von dort fand im gleichen Zeitraum Kriegsgerät für rund sechs Milliarden Euro den Weg ins Land.

Waffen ohne Auflagen

Die irakische Regierung wäre für Eventualitäten also hinreichend gerüstet. Ihr Problem ist allerdings, dass der Gebrauch der Waffen an Auflagen gebunden ist. Die USA haben sich aus dem Irak zwar zurückgezogen, nehmen auf die Politik des Landes aber weiterhin Einfluss - und damit auch auf den möglichen Einsatz der von ihnen gelieferten Waffen. Die Raketen und Hubschrauber aus Russland haben aus Sicht der irakischen Regierung darum einen entscheidenden Vorteil: Ihr Einsatz ist an keine Vorlagen gebunden. Zumindest an keine, die sich mit denen der aus den USA gelieferten decken.

So dokumentiert das irakisch-russische Waffengeschäft eine neue Entwicklung auch im irakisch-amerikanischen Verhältnis. Die Amerikaner hätten sich mit Nuri Al-Maliki zwar abgefunden, erklärt Dia al-Shakarchi, politischer Analyst und ehemals Mitglied des 2005 eingesetzten Übergangsparlaments: "Aber im Grunde wünschen sie sich eine andere Regierung als eine islamisch orientierte. Daher steht al-Maliki den Russen näher."

Irakisch-russische Interessensgemeinschaft

Die Nähe gründet vor allem auf gemeinsamen außenpolitischen Interessen. Sowohl Russland als auch der Irak stehen im syrischen Aufstand auf Seiten von Präsident Bashar al-Assad. Und: Sowohl Russland als auch der Irak stehen den schiitischen Regimen der Region näher als den sunnitischen - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Während Russland vor allem um seinen Einfluss im Nahen Osten fürchtet, der mit einer Niederlage Assads empfindlichen Schaden nähme, fühlt sich der Schiit Al-Maliki dem alewitischen Regime Assads wie auch dem Iran nicht nur politisch und kulturell, sondern auch aus biographischen Gründen verbunden: Als politischer Gegner Saddam Husseins von diesem 1980 zum Tode verurteilt, floh Al-Maliki zunächst in den Iran und dann nach Syrien, von wo aus er die Oppositionsarbeit gegen Hussein fortsetzte.

Russlands Premier Medwedew und Iraks Premier Maliki besiegeln per Handschlag das Waffengeschäft. Moskau, 9.10.2012 (Foto: Reuters)
Handschlag für den Waffendeal:Russlands Premier Medwedew und Iraks Premier MalikiBild: Reuters

Logik der Religion

Viel bedeutender ist aber der aktuelle Syrienkonflikt, der immer stärker unter konfessionellen Vorzeichen steht. Die Religion spiele eine wesentliche Rolle, erklärt Al-Shakarchi. "Mit ihr kalkulieren nicht nur die islamischen, sondern auch die säkularen Kräfte." Auch letztere könnten gar nicht anders, als die Religion in ihre Politik einzubeziehen. Denn ihnen wie auch den Religiösen sei eines gemeinsam: "Sie fürchten ein radikal-sunnitisches Regime in Syrien."

Die Sorge vor einer solchen Entwicklung motiviert Malikis außenpolitischen Kurs - der so unweigerlich in ein Spannungsverhältnis zu den USA gerät, die den Sturz der Regierung Assad wollen. Dieser bestimmt ihren Kurs stärker als die Sorge vor möglichen Entwicklungen nach dem politischen Ende Assads.

Innenpolitische Motive

Malikis schiittischer Kurs ist aber auch innenpolitisch motiviert. Denn ob er will oder nicht: Der irakische Ministerpräsident ist gezwungen, konfessionelle Überlegungen in seine Gedanken einfließen zu lassen. Denn der Irak sei konfessionell wie ethnisch alles andere als ein einheitlicher Staat, erklärt der an der Universität Göttingen lehrende Jurist Naseef Naeem. Zwar versuche Maliki, die Macht bei den Schiiten zu bündeln. "Aber zugleich wollen die Sunniten, die immer Anhänger eines Zentralstaates waren, im Westen des Landes eine eigene Region haben - und zwar mit Unterstützung der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars." Die nach wie vor nicht ausgeglichenen Interessen lähmten den politischen Dialog und mit ihm die weitere Entwicklung des Landes: "Wenn der Ministerpräsident sich äußert, wird das von den Sunniten sofort als Dekret der Schiiten betrachtet. Das ist ihnen Grund genug, es nicht umzusetzen." Eine solche Obstruktionspolitik, erklärt Naeem, schade letztlich dem gesamten Land: "Die Spannung setzt die Funktionalität des Staates praktisch außer Kraft."

Furcht vor autoritären Regimes

So sind die Iraker innen- wie außenpolitisch weiterhin der Dynamik der Religion ausgesetzt. Mit ihr müssen sie rechnen, ob sie wollen oder nicht. Dass sich das absehbar ändert, bezweifelt Al- Shakarchi. Die Bürger des Irak wie des ganzen Nahen Osten hätten darum einen politisch hohen Preis zu zahlen. Solange Politiker überwiegend in religiösen Kategorien dächten, hätte die Demokratie keine Chance. Doch eine Alternative gäbe es derzeit nicht. Denn die Alternativen zu einer religiösen Ordnung seien nicht demokratische, sondern diktatorische Regimes. Doch Diktaturen als Alternativen zu religiösen Regierungen seien nicht akzeptabel. Darum, erklärt er, müssten die Bürger der Region mit demokratischen Verfahren erst noch experimentieren. Das aber könne lange dauern: 10, 20, vielleicht sogar 50 Jahre. Aber am Ende, hofft er, könnten die Iraker und Angehörigen der anderen Staaten einsehen, dass es zur Demokratie keine Alternative gebe: "Und es besteht die Aussicht, dass die Wähler die säkularen Kräfte den Islamisten vorziehen werden", so Al- Shakarchi.

Nuri al Malik und Bashar al Assad reichen sich die Hände. Damaskus, 21.8. 2007 (Foto: EPA)
In alter Freundschaft: Nuri al-Malik und Bashar al AssadBild: picture alliance/dpa

Vorerst aber bestimmt die Religion das Kräftemessen im Nahen Osten. So lange sie das politische Denken bestimmt, dürften Waffenkäufe keine der Parteien dauerhaft nach vorne bringen. Denn so wie sie sich derzeit zeigt, fürchtet die Religion die Waffen nicht. Sie liebt sie.