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Importierte Zuwendung

Goderhard Weyerer28. April 2014

Rund 100.000 Frauen aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern arbeiten als Pflegekräfte in deutschen Familien und wohnen auch bei ihnen. Doch das Geschäft der Agenturen, die sie vermitteln, ist umstritten.

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Alte und junge Hand halten einander (Foto: Chariclo - Fotolia )
Bild: Fotolia/Chariclo

Joseffa Gosse ist 58 Jahre alt. "In Polen ist es für mich schwer, Arbeit zu finden" sagt sie, die gutes Deutsch spricht. Da war sie froh, Arbeit in Deutschland gefunden zu haben - besser bezahlt ist sie ohnedies. Joseffa Gosse hat in dem Haus, in dem sie einen an Parkinson erkrankten Mann betreut, ein eigenes Zimmer. Ein eigenes Bad oder eine eigene Küche hat sie nicht. Beides muss sie sich mit dem Ehepaar teilen. Die häusliche Nähe birgt natürlich Konflikte. Nicht in ihrer Familie, winkt Joseffa Gosse höflich ab. Die Chemie stimme.

Und sie muss stimmen, ergänzt Beata Bajda, die vor einem Jahr die Vermittlungsagentur "Senioren Anker" gegründet hat. 1988 kam sie aus Polen nach Deutschland und arbeitete hier 15 Jahre selbst als Krankenschwester. "Die Geschäftsidee ist für mich vor allem eine Eins-zu-eins-Pflege und -Versorgung und keine Minutenpflege mehr." Das beste Pflegeheim ist in ihren Augen das Eigenheim, die beste Medizin Zuwendung.

Die pflegebedürftigen Menschen sollen deshalb zuhause ihren Alltag verbringen können. Bajda weiß: Mit deutschen Pflegekräften wäre dieser Service nicht zu bezahlen. Rund 1100 Euro bekommen die polnischen Pflegekräfte ausgezahlt, netto. In Polen würden die Pflegekräfte mit derselben Arbeit gerade einmal ein Drittel verdienen.

Nicht nur billiger, sondern auch besser?

15 Frauen arbeiten derzeit in Bremerhaven und Umgebung, vermittelt von Beata Bajda. Unter ihnen Marzena Wojcik, die im Juni in die Einliegerwohnung im Haus von Hermann-Klaus Mohlenkamp eingezogen ist.

Die Gründerin der Vermittlungsagentur "Senioren Anker" Beate Bajda im Gespräch mit Pflegerin Marzena Wojcik (Foto: Goderhard Weyerer)
Beate Bajda (l) im Gespräch mit Marzena WojcikBild: Godehard Weyerer

Mittagszeit. Wojcik eilt dem 78-Jährigen zu Hilfe. Alleine würde er den kurzen Weg vom Sofa zum Rollator nicht schaffen. Und schon gar nicht bis in die Küche. Seit fünf Jahren quält den 78-Jährigen jede Bewegung. Im Januar starb seine Frau. "Ich habe es ja zuerst alleine versucht", sagt Mohlenkamp. "War eine Katastrophe."

Hermann-Klaus Mohlenkamp stürzte in der Küche, schnitt sich die Hand auf. Die vom deutschen Pflegedienst wären schon immer weggewesen, wenn er Hilfe gebraucht hätte, erzählt er. In der örtlichen Zeitung las er von der Agentur "Senioren Anker", die polnische Pflegekräfte ins Haus vermittelt, und entschied sich für diese Betreuung.

Beata Bajda selbst stellt keine Mitarbeiter ein: "Die Frauen sind Mitarbeiter der polnischen Partnerfirma." Diese Firma sei berechtigt, Mitarbeiter innerhalb der EU zu entsenden, fügt sie an. "Alles legal, die EU-Gesetze werden eingehalten."

Joseffa Gosse ist gelernte Köchin und hat sich in Polen zur Pflegekrafthilfe weiterqualifiziert. Für das deutsche Ehepaar macht sie das Frühstück, wäscht die Kleider, geht spazieren. Sie ist einfach da, passt auf, bevor der an Parkinson erkrankte Mann stürzt. Acht Stunden Pflege, acht Stunden Bereitschaft, acht Stunden Schlaf - so sieht es der Arbeitsvertrag vor. Aber wenn nachts die Not groß ist, würde Joseffa Gosse auch aufstehen und nicht nein sagen.

Für die einen Ausbeutung, für die anderen Luxus

Sklavenähnliche Zustände warfen zugelassene Pflegedienste Beata Bajda vor. In der Bremerhavener Presse entbrannte eine heftige Debatte. "Das war ja die beste Werbung für mich", lacht Beata Bajda. "Aber im Ernst, die sehen mich als Konkurrentin." Polen ist seit 2004 EU-Mitglied. Seit 2011 gilt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das heißt, Menschen aus Polen können sich in den EU-Ländern frei niederlassen und dort auch arbeiten. "Von daher haben wir die Möglichkeit, das auf dem deutschen Markt anzubieten."

Senior Klaus Mohlenkamp wirft einen Blick in den Kochtopf, in dem seine Pflegerin Essen zubereitet (Foto: Goderhard Weyerer)
Was gibt es heute? Mohlenkamp wirft einen Blick in Wojciks TopfBild: Godehard Weyerer

Geschätzte 100.000 Frauen aus Osteuropa arbeiten hier als Pflegekräfte in Familien. Pro Monat 1800 Euro zahlen die, die die häusliche Hilfe in Anspruch nehmen. Kost und Logis kommen oben drauf. Die Pflegeversicherung gibt einen Zuschuss von vielleicht monatlich 500 Euro. Nicht jeder kann sich das leisten.

Hermann-Klaus Mohlenkamp war selbständiger Segelmacher, blieb ohne Kinder und verkaufte seinen Betrieb. Wohnzimmer und Essdiele in dem geräumigen, hellen Haus sind hochwertig ausgestattet wie die große Küche. Auf dem Herd dampft der Topf. Marzena Wojcik kocht heute eine Gemüsesuppe. "Alles gesund, alles natürliches Gemüse", sagt sie stolz.

"Was wir anbieten" ergänzt Beata Bajda, "ist ein Stück Luxus." Und sie versteht darunter nicht so sehr die Tatsache, dass bei Wojcik Bio im Topf ist: Die Pflegebedürftigen könnten zuhause bleiben, müssten nicht weg ins Pflegeheim. "Man weiß doch" sagt Bajda, "alte Bäume verpflanzt man nicht."