Importierte Ideen für den Arbeitsmarkt
31. Mai 2005Eine "hohe Meinung von ihrem eigenem System" bei gleichzeitiger Skepsis gegenüber den Grundsätzen anderer Länder bescheinigt der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann den Sozialstaaten Europas. Grund sind die unterschiedlichen Traditionen, auf welche die einzelnen Systeme zurückgehen. In Deutschland, so heißt es, tragen die verkrusteten Strukturen des Arbeitsmarktes Schuld an den erschreckenden Arbeitslosenzahlen, die am Dienstag erneut zu erwarten sind. Dabei könnte das Kopieren der Arbeitsmarktpolitik anderer Industrieländer interessante Impulse geben. Beispiele gäbe es genug.
Irland
Mit zuletzt 4,4 Prozent Arbeitslosigkeit gehört Irland zur Spitzengruppe der EU-Staaten. Dank überdurchschnittlicher Wachstumsraten, die um das Jahr 2000 sogar bei mehr als 10 Prozent lagen, ist die Nachfrage nach Arbeitskräften unverändert groß. Mit erhöhten Bildungsinvestitionen soll das Wachstum gesichert werden. Im Bereich der Sozialsysteme steht indes die tatsächliche Bedürftigkeit im Vordergrund: Nach diesem Kriterium werden mehr als ein Drittel der Sozialleistungen vergeben.
USA
Über die USA hört man in Europa zweierlei: Einerseits sehnt man sich nach den dort erzielten Zahlen, andererseits gelten die eingesetzten Mittel als unsozial und werden daher kaum ernsthaft diskutiert. Staatlicher Einfluss auf den Arbeitsmarkt wird hier auf ein Minimum reduziert. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Arbeitsrecht: Ein Kündigungsschutz besteht faktisch nicht. Die Arbeitslosenunterstützung gibt es für höchstens sechs Monate, Sozialhilfe ist schwer erhältlich. Dennoch stieg die Arbeitslosenquote in den vergangenen Jahren und liegt jetzt bei 5,5 Prozent. Kritiker machen die Abwanderung von Arbeitern in Billiglohnländer verantwortlich.
Australien
Zu den großen Gewinnern eines Standort-Rankings der Bertelsmann-Stiftung gehört "Down Under". Nur 5,1 Prozent der Erwerbsfähigen haben hier keine Arbeit. Das Rezept: Zahlreiche Vorschriften über Arbeitsbedingungen und Lohnhöhe wurden ersatzlos gestrichen. Verhandlungen darüber finden nun auf der Ebene der Branchen oder der einzelnen Unternehmen statt. Ein weiterer zentraler Faktor ist die stärkere Verpflichtung der Arbeitslosen. Sie müssen ihre Unternehmenskontakte in einem Tagebuch festhalten und werden zudem von einem Coach individuell betreut. Wer keine Eigeninitiative zeigt, erhält keine Unterstützung mehr.
Vereinigtes Königreich
Die Sozialsysteme des Landes basieren auf der gleichen Idee wie in Irland. Statt eines flexiblen Systems bauen die Briten auf eine einheitliche Mindestversorgung - und sparen damit Geld: Pro Kopf betragen die Sozialausgaben die Hälfte der in Deutschland veranschlagten Kosten. Das niedrige Arbeitslosengeld wird nur für sechs Monate gewährt; das soll als Arbeitsanreiz dienen. Hinzu kamen in den letzten Jahren gezielte Programme zur Eingliederung von jungen Erwachsenen und Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Ein Kündigungsschutz steht nicht im Gesetz, lediglich im Arbeitsvertrag können Fristen und Bedingungen vereinbart werden. Das stört allerdings wenig, wenn der nächste Job nicht weit ist: Nur 4,7 Prozent sind arbeitslos.
Schweden
Als Prototyp des umsorgenden "Wohlfahrtsstaates" ist Schweden bekannt. In den 90er Jahren lähmte dies Wirtschaft und Arbeitsmarkt - jetzt scheinen die Probleme überwunden. Die geringe Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent verdankt Schweden zunächst einer engagierten Wissenschafts- und Bildungspolitik. Bei seinem Weg aus der Krise blieb das Land zugleich seiner Linie umfangreicher staatlicher Versorgung treu: Die aktive Betreuung der Arbeitslosen durch staatliche Einrichtungen ist das wichtigste Element der Arbeitsmarktpolitik.
Japan
4,8 Prozent der Erwerbsfähigen haben im Land der aufgehenden Sonne keine Arbeit. In Europa wäre dies ein Traumwert, in Japan ist es ein Negativrekord: 1990 lag die Quote noch bei rund 2 Prozent. Hauptgrund für den Anstieg war die starke Verflechtung zwischen Staat und Unternehmen, die eine flexible Reaktion auf die lange Phase der Depression verhinderte. Dass die Arbeitslosigkeit dennoch vergleichsweise gering blieb, lag einerseits an dem weiterhin hohen Volumen ausländischer Investitionen, aber auch am umfangreichen Kündigungsschutz.
Frankreich
Frankreich teilt sich viele Probleme mit Deutschland: teure soziale Sicherungssysteme, geringes Wachstum und wenig Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Zudem arbeitet jeder fünfte Arbeitnehmer im wenig effizienten öffentlichen Dienst. In der Tradition des Landes stehen staatliche Beschäftigungsprogramme, die zwar kurzfristig Abhilfe schaffen, aber langfristig den verschuldeten Staat weiter belasten. Umstritten ist zudem, ob strenge Begrenzungen der Arbeitszeit oder vielmehr eine stärkere Flexibilisierung die Arbeitslosenquote von 9,9 Prozent drücken können.