Immer mehr Schiffe wieder unter Dampf
16. Oktober 2020Bislang ist es nicht zu einem von vielen befürchteten Insolvenz-Tsunami in der internationalen Seefahrt gekommen. Obwohl manche Branchen, vor allem die Tourismus-Sparte mit ihren Kreuzfahrt-Angeboten, davor gewarnt hatten. Nun mehren sich Berichte, die auf einen Tidenwechsel in der maritimen Wirtschaft hinweisen: Statt trockenzufallen, haben viele Unternehmen wieder mehr Wasser unterm Kiel.
Neben den Kreuzfahrt-Anbietern haben auch ihre "Hardware-Zulieferer", also die Werften, offenbar weniger stark gelitten als befürchtet - sie melden bereits wieder neue Auslieferungen. Die großen Container-Reedereien, die den Rückgang der Weltkonjunktur in ihren Büchern deutlich zu spüren bekommen hatten, verzeichnen inzwischen ebenfalls wieder steigende Pegelstände.
Der Konsum zieht an
Besonders für die internationale Containerschifffahrt zeigen die Zahlen wieder nach oben - hier setzt offenbar schon wieder die Erholungsphase ein. Im laufenden Jahr sei noch mit einem Minus des weltweiten Containertransports von 4,1 Prozent zu rechnen, sagte Rolf Habben Jansen, der Vorstandsvorsitzende der Reederei Hapag-Lloyd unter Berufung auf branchennahe Beratungsunternehmen.
Das ist ein Fortschritt, denn im April hatte Hapag-Lloyd noch eine Rückgang des weltweiten Containertransports um 10,6 Prozent vorhergesagt. Für das nächste Jahr sei jetzt ein Wachstum von 5,7 Prozent zu erwarten. "Niemand hat damit gerechnet, dass die Nachfrage wieder so steigen würde", so Habben Jansen.
Das, so der Hapag-Loyd-Chef, könne daran liegen, dass bislang weniger Geld für Restaurants, Konzerte, Kinos und Bars ausgegeben wurde statt für Möbel oder Haushaltsgeräte, da sich die Kunden verstärkt in ihren Wohnungen aufgehalten haben. So seien in "einigen Fahrtgebieten" schon seit August schon mehr oder größere Schiffe unterwegs als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.
Entlassungen trotz Erholung
Die weltgrößte Containerreederei Maersk hat dank der unerwartet starken Erholung der Nachfrage ihre Gewinnaussichten angehoben. So wird für das Gesamtjahr nun mit einem operativen Gewinn (Ebitda) zwischen 7,5 und acht Milliarden Dollar, statt sechs bis sieben Milliarden Euro, gerechnet. "Die Volumina haben sich schneller als erwartet erholt, unsere Kosten sind gut unter Kontrolle geblieben, die Frachtraten sind aufgrund der starken Nachfrage gestiegen", erläuterte Konzernchef Soren Skou am Dienstag die Gründe für den optimistischeren Ausblick.
Dennoch will Maersk im Rahmen seines geplanten Umbaus 2000 Stellen streichen. Im September hatte der Konzern mit insgesamt rund 80.000 Mitarbeitern angekündigt, seine Container-Logistik auf See und an Land zu bündeln. Damals erklärte Maersk nur, dass es zu einem Stellenabbau kommen werde, eine konkrete Zahl war die Reederei schuldig geblieben. Im Zusammenhang mit dem Jobabbau fielen im dritten Quartal Kosten von rund 100 Millionen Dollar an, teilte Maersk nun mit.
Der Umbau betrifft unter anderem auch die 2017 von Oetker übernommene Reederei Hamburg Süd, die 4500 Mitarbeiter beschäftigt. Sie soll zwar als Marke erhalten bleiben, die technische Abwicklung aber mit der von Maersk zusammengelegt werden.
Wieder neue Kreuzfahrtschiffe
Auch die Schiffbauer beginnen aufzuatmen: Nach langer Verzögerung hat jetzt die Papenburger Meyer-Werft ein neues Kreuzfahrtschiff , die "Iona", an die britische Reederei P&O Cruises übergeben. Die Belegschaft der angeschlagenen Werft bekomme nun mit dem nächsten Gehalt auch ihr Urlaubsgeld, sagte ein Firmensprecher.
Um zu sparen, hatte die Meyer-Geschäftsführung das Urlaubsgeld solange zurückgehalten, bis die "Iona" abgeliefert und bezahlt ist. Die Meyer-Werft leidet unter dem Stillstand des Kreuzfahrttourismus in der Corona-Pandemie, die Reedereien brauchen die neuen Ozeanriesen derzeit nicht.
Die "Iona" war im März über die Ems zur Nordsee und dann nach Bremerhaven gebracht worden. Die zunächst für Mai angekündigte Ablieferung verzögerte sich immer wieder. Zum einen war der Endausbau unter Corona-Bedingungen schwierig; zum anderen zeigte P&O Cruises keine Eile, das Schiff zu übernehmen. Erste Fahrten auf der "Iona" bietet die Reederei nun im Februar 2021 ab Southampton an.
Ende September hatte die Meyer-Werft bereits den Neubau "Spirit of Adventure" an die britische Reederei Saga Cruises ausgeliefert. Die Werft streckt wegen Corona ihr Bauprogramm und will jährlich nicht drei, sondern nur zwei Schiffe fertigstellen. Damit fallen absehbar Jobs in der 3600 Personen zählenden Stammbelegschaft weg. Eine genaue Zahl will das Unternehmen erst nennen, wenn die geänderten Verträge mit den Reedereien unter Dach und Fach sind.
Weniger Schiffe auf dem Trockenen
Die Erholung des Welthandels lässt sich auch an der geringen Zahl von aufliegenden Schiffen erkennen. Die Reedereien hatten ihre Kapazitäten stark heruntergefahren und zeitweise Schiffe mit einer Tragfähigkeit von mehr als 2,7 Millionen Standardcontainern (TEU) aus dem Betrieb genommen. Inzwischen liegen nur noch Kapazitäten von 644.000 TEU auf, rund 2,7 Prozent der Weltflotte.
Auch Hapag-Lloyd selbst blickt angesichts des nunmehr günstigeren Umfeldes positiv gestimmt in die Zukunft. Die Schiffe sind voll, der Treibstoff billig, und auch die meisten Seeleute konnten wieder von Bord gehen, nachdem sie viele Monate nicht ausgewechselt werden durften. Auf den 41 Hapag-Lloyd-Schiffen unter deutscher Flagge stehen noch 52 Seeleute überfällig zum Crewwechsel an, gegenüber mehr als 300 vor drei Monaten. Ihre Zahl müsse baldmöglichst auf Null fallen, sagte Habben Jansen.