Im Namen Gottes gegen Assad
2. August 2012Militärisch sind die Fronten in Syrien klar: Die Gegner Assads kämpfen gegen dessen Anhänger, die Revolutionskräfte gegen das Militär und die Sicherheitsapparate des Regimes. Ideologisch gibt es auf Seiten der Gegner des Präsidenten dagegen einen komplizierten Frontverlauf. Denn geeint sind die Truppen nur in ihrer Feindschaft zum System Assad. In vielen anderen Fragen gehen ihre Vorstellungen weit auseinander.
In den vergangenen Monaten sind viele Kämpfer nach Syrien gekommen, denen es einerseits darum geht, das derzeitige Regime zu besiegen. Zugleich verfolgen sie aber auch ganz andere Ziele. Die beiden jungen Männer aus Libyen etwa, die die Zeitung "Al Quds al Arabi" diese Woche in einer Reportage vorstellte. Sie sagen, in Syrien träfen die beiden großen islamischen Strömungen, Schiismus und den Sunnismus, aufeinander. Dort würden Schiiten und Sunniten einen finalen Kampf um die Vorherrschaft in der Region ausfechten. Die beiden zeigen sich überzeugt davon, dass die Schiiten sich dabei zu den endgültigen Herren der Region aufschwingen wollen. Und als engagierte Sunniten seien sie angetreten, eben dies zu verhindern.
Vielfältige religiöse Motive
Es sind solche mythologisch aufgeladenen Szenarien, die einen Teil der Kämpfer motivieren. Diese Kämpfer, erklärt der französische Islamwissenschaftler Thomas Pierret, handelten vor allem aus religiösem Antrieb. Zwar mischten sich auch politische Motive in ihr Engagement – aber die spielten nur eine zweitrangige Rolle. Globale Dschihadisten, die ihren Glauben mit terroristischen Mitteln weltweit exportieren wollten, seien die wenigsten. "Natürlich gibt es dieses Phänomen. Ich glaube aber nicht, dass es sich um ein sonderlich großes und bedeutsames Phänomen handelt."
Es sei schwierig, die Motive der islamistischen Kämpfer auf einen Nenner zu bringen, betont auch der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der "Stiftung Wissenschaft und Politik". Zwar nehme der Konflikt in Syrien einen immer religiöseren Charakter an. Doch die Motive der Beteiligten seien sehr schwer zu definieren. "Da ist sicherlich eine gehörige Portion religiöse Motivation dabei – da spielt das Sunnitentum eine Rolle. Bei einigen ist es Islamismus, bei anderen ist es Salafismus, und bei manchen geht es sogar bis zum Dschihadismus."
Extremismus als Label
Einen verstärkt islamistischen Charakter nähmen manche Gruppen aber noch aus einem anderen Grund an, erklärt der an der Universität Edinburgh lehrende Thomas Pierret. Denn die sunnitischen Kämpfer hätten eine enttäuschende Erfahrung machen müssen: Saudi-Arabien, das reiche Zentrum der konservativen Sunniten, unterstütze sie viel weniger als angenommen. Zumindest der saudische Staat fördere den Islamismus in Syrien nicht. Auch die für den Waffenkauf bestimmten Gelder flössen viel spärlicher als erhofft. Darum hätten sich die sunnitischen Kämpfer nach anderen Geldquellen umgeschaut. "Und das waren private Sponsoren aus der Golfregion, aus Saudi Arabien ebenso wie den anderen Staaten der Region. Es handelt sich um sehr wohlhabende Personen, die bereits dschihadistische Gruppen in Tschetschenien, Afghanistan und im Irak unterstützt haben." Diese Leute verteilten ihr Geld nach ganz bestimmten Kriterien. Die Empfänger müssten mindestens entschiedene Muslime, besser aber Salafisten sein, so Pierret. Die Kämpfer gäben sich deshalb islamitischer, als sie es eigentlich seien. Der Extremismus sei eine Art Label, das die Sponsoren zu größeren Summen animieren soll, meint der Islamwissenschaftler. Doch die Geber blieben zurückhaltend.
Syrische Fundamentalisten
Die Zahl der ausländischen Kämpfer sei vergleichsweise gering, erklären Pierret und Steinberg übereinstimmend. Doch Entwarnung könne man trotzdem nicht geben. Denn auch unter den Syrern selbst befänden sich zahlreiche Fundamentalisten, so Steinberg. "Wenn man sich mal die Zahlen derer anschaut, die in den Irak gezogen sind nach 2003, dann wird man feststellen, dass die Syrer neben den Saudis das größte Kontingent an ausländischen Kämpfern stellen. Das verweist auf einen starken dschihadistischen Untergrund in Syrien selbst".
Es ist allerdings zu befürchten, dass die Zahl der religiös motivierten Kämpfer mit zunehmender Dauer des Krieges größer werden wird. Die alawitisch dominierten Truppen Assads animieren durch ihre rigorose Gewalt immer mehr Kämpfer dazu, sich auch an alawitischen Zivilisten zu rächen. Das wiederum lässt diese an Vergeltung denken – ein Teufelskreis.
Freie Syrische Armee in Not
Der zunehmend religiöse Charakter der Kämpfe mache auch der Freien Syrischen Armee zu schaffen, erklärt Guido Steinberg. Denn ihre Führung wisse genau, dass deren Präsenz für die westlichen Mächte ein starker Grund sei, auf Distanz zu den Aufständischen zu gehen und ihre Unterstützung zurückzufahren. "Deshalb hat die Freie Syrische Armee ebenso wie der Syrische Nationalrat auch versucht, da eine gewisse Distanz an den Tag zu legen. Das Problem ist natürlich, dass diese Gruppen vor Ort präsent sind – und möglicherweise auch stärker als wir das vermuten."
Die Freie Syrische Armee habe aber noch ein weiteres Problem, erklärt Steinberg: Völlig lösen könne sie sich von den islamistischen Kämpfern nicht. Das könne sie sich nicht leisten, denn dafür sei sie militärisch zu schwach. Denn die Freie Syrische Armee sei im Grunde kaum mehr als eine Ansammlung von Milizen. Als solche sei sie auch auf Kämpfer angewiesen, die sie im Grunde lieber nicht in ihren Reihen sähe - "und zwar ganz einfach darum, damit ihre Kämpfer überleben."
Die Bevölkerung könnte weiter leiden
In Syrien kämpfen derzeit die unterschiedlichsten Gruppen und Gruppierungen. Noch sind sie vereint im Kampf gegen Assad. Dieser Umstand hat bislang verhindert, dass ihre ideologischen und politischen Differenzen offen zutage treten. Spätestens nach dem Sturz Assads dürften die einzelnen Gruppierungen ihre Konkurrenz dann aber ungebremst austragen. Schon bringen sich manche ihrer Vertreter in Stellung, um über die Bildung einer neuen Regierung nachzudenken. Und ebenfalls schon jetzt werfen diese sich gegenseitig vor, vor allem an der Macht interessiert zu sein, die Strukturen des Assad-Regimes grundsätzlich erhalten und nur das Personal austauschen zu wollen. Für die Zukunft des Landes lässt das nichts Gutes ahnen. Läuft es ganz schlecht, dürften die eigentlichen Verlierer des Machtwechsels die syrischen Zivilisten sein.