Im Labyrinth des Erzählers
5. Januar 2002Diesen Ratschlag des Bischofs Otto von Freising an seinen Lehrjungen "Baudolino" hat der Autor des gleichnamigen Romans selbst beherzigt. Umberto Eco, selbst ernannter "Philosoph der Vernebelung", schreibt Bücher, die sich sowohl naiv als Abenteuergeschichten konsumieren als auch als Bildungsroman eines Gelehrten lesen lassen. Sein Erstlingswerk "Der Name der Rose" (1980) schrieb der Italiener angeblich aus Langeweile, weil er mit Ende Vierzig schon alles erreicht zu haben schien. Inzwischen hat er seinen vierten seitenstarken Roman veröffentlicht - und dieser wird nicht der Letzte sein. Umberto Eco hat auch nach seinem 70. Geburtstag am 5. Januar nicht vor, sich zur Ruhe zu setzen.
Eco, der Workaholic
Die Frage ist, wie und wann er seine akribisch recherchierten Bücher über das Mittelalter alle schreibt. Ist er doch beileibe kein Mönch in der Zelle, sondern streitbarer Zeitungs-Kolumnist, geistig-witziger Essayist und viel zitierter Wissenschaftler der Semiotik, der Lehre von den Zeichen und Bedeutungen - nicht nur an seiner Universität in Bologna, sondern weltweit als Gastdozent.
Eco ist ein rauchender Workaholic, ein Nachtarbeiter, der auf den Festen der Schönen und Reichen von Mailand tanzt und dann wieder in seinem labyrinthischen Stadt-Appartment arbeitet. Dort versorgen ein Computer, Tausende von handschriftlichen Notizen und über dreißigtausend Bücher mit Lesezeichen den enzyklopädischen Gelehrten mit Material. Zuweilen allerdings zieht die Familie – Eco ist mit der deutschen Grafikerin Renate Ramge verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter - in das Sommerhaus auf den Hügeln bei Rimini, eine ehemalige Jesuiten-Schule aus dem 17. Jahrhundert.
Eco, der Forscher
Mit seinem Erfolg als Schriftsteller hatte Umberto Eco nicht gerechnet. Sein Debutroman wurde weltweit 15 Millionen mal verkauft - allein in Deutschland gingen 2,5 Millionen Exemplare über den Ladentisch. Eigentlich sollte der Sohn eines Buchhalters, der wie der fiktive Baudolino in Alessandria im Piemont geboren wurde, Jurist werden. Stattdessen studierte er Philosophie. Die Neugierde auf das Mittelalter, die er bei seinen Lesern zu wecken sucht, hat ihn von Anfang an auch als Wissenschaftler gepackt. Seine Dissertation 1954 über die Ästhetik des mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin legte den Grundstein für eine Forschungsarbeit, die er sein ganzes Leben weiter verfolgen sollte. Trotz aller Erfolge auf der Literaturbühne setzt Eco für sich klare Prioritäten: "Ich bin in erster Linie Universitätsprofessor." Mit "Das offene Kunstwerk" (1966) schrieb er einen Schlüsseltext moderner Kunsttheorie und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Schriften.
Ecos literarisches Prinzip beruht auf der Verquickung von Philosophie und Abenteuern. In einem Gespräch mit dem niederländischen Schriftsteller-Kollegen Cees Nooteboom erklärte er am Beispiel seines zweiten Romans "Das Foucaultsche Pendel" seine Arbeitsweise: "Jedes Zitat ist nicht nur absolut authentisch, sie alle wurden sogar anhand der manchmal sehr seltenen und alten Erstausgaben überprüft. Die Zitate sind da, um auszusagen: Ich erzähle euch die Wahrheit, ich erfinde nichts, ich mache niemandem etwas vor." Dennoch muss der Autor Eco zuweilen historische Lücken mit seiner Fantasie füllen. So mischt er auch in seinem vierten Roman "Baudolino" Dichtung und Wahrheit: Die Hauptereignisse, ihre Hintergründe und etliche Nebenfiguren sind historisch verbürgt, die Helden aber und ihre wunderbaren Abenteuer hat Eco hinzu gedichtet.
Eco, der Satiriker
Umberto Eco hat seinem Publikum nie leichte Kost geboten, weder als Radiojournalist in den frühen Jahren noch als Bestseller-Autor. Und auch nicht in seinen zahlreichen Satiren wie zum Beispiel "Platon im Stripteaselokal" (1990) oder "Wie man mit einem Lachs verreist" (1992). Gerade in diesen Satiren hat er immer wieder einen ausgeklügelten Sinn für Humor bewiesen. Schon lange bevor er sich als Romancier einen Namen machte, liebten die Italiener ihn für seine witzig-scharfzüngigen Zeitungskolumnen.
Begeisterte Kritiken erntet Eco ebenso für seine zahlreichen Essays. Der streitbare Linkintellektuelle und vor Ideen sprühende Professor versteht es, Meinungen gegen den Strich zu bürsten, Dinge auf die Spitze zu treiben und theologische und philosophische Fragen so genussvoll in Worte zu fassen, dass es den Leser packt und er dem notorischen Geschichtenerzähler einfach auf seinen Höhenflügen durch die Zeiten folgen muss.