Der andere Blick
5. Mai 2007In der westafrikanischen Sahelzone ist es heiß und trocken. In Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, stehen die Händler bei über 40 Grad auf dem Markt und bieten ihre Waren an. Tomaten, Gurken und Paprika liegen dort im Schatten auf Tüchern und kreieren ein buntes Bild auf dem staubigen Boden. Ein alltäglicher Anblick für die 17-jährige Balima Adjara, die sofort auf den Auslöser einer Digitalkamera drückt. Mit einem Klick wird das Stillleben festgehalten. Die Leute auf dem Markt sind überrascht, dass ihr Gemüse fotografiert wird. Eine Kamera bekommen sie nicht häufig zu Gesicht. Ebenso wenig wie eine Zeitung. Ein Austausch mit dem Rest der Welt ist hier eine Seltenheit. Balima freut sich deshalb umso mehr über ihr neu gewonnenes Wissen um die Kunst des Fotografierens. "So konnte ich die Welt um mich herum festhalten, die mich tagtäglich umgibt". Im Centre Culturel Français de Kiel kann die afrikanische Welt, gesehen mit den Augen der Kinder, noch bis zum 24. Mai erkundet werden.
Digitale Kluft
Die meisten Europäer hantieren mit den unterschiedlichsten technischen Geräten als hätten sie schon immer existiert. Ihnen erscheint es befremdlich, dass ein Teenager keine Ahnung von Digitalkameras haben kann. In Europa kommt diese Unkenntnis einer Bildungslücke gleich. In Afrika ist Bildung jedoch ein Luxusgut, das nur den wenigsten zugute kommt. Wo also lernt eine afrikanische Jugendliche das Fotografieren, einschließlich der Nachbearbeitung am Computer? In der Schule? Nein.
Im September 2006 setzten sich zwei deutsche Frauen in ein Flugzeug nach Westafrika: Fotografin Susanne Ludwig und ihre Freundin und Sozialpädagogin Natascha-Maria Meyenberg. Im Gepäck hatten sie neben einer Kamera-Ausrüstung auch die Idee für das Foto-Projekt. Ihr Ziel: das Waisenhaus in Ouagadougou. Dort sollte mithilfe des Vereins Sahel e.V. die Theorie in die Praxis umgesetzt werden. Insgesamt zehn Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren lernten so schließlich die digitale Fotografie. "Wir wählten Burkina Faso, weil es eines der ärmsten Länder der Welt ist und es ziemlich unbekannt ist", erklärt Susanne Ludwig. Gerade die Offenheit und Großzügigkeit der Menschen dort hätten sie sehr berührt.
Begeisterung und ausgelassene Stimmung herrschten unter den jungen Lernern - trotz Krankheitsfällen, Sandstürmen und Stromausfällen. Viele haben, wie Balima, einfach das geknipst, was ihnen wichtig erscheint. Besonders die Menschen, die ihnen am Herzen liegen, aber auch Pflanzen, Tiere und die afrikanische Sonne haben sie auf Fotos festgehalten. "Die Kinder waren sehr motiviert und hatten den Ehrgeiz, da ganz viel reinzustecken", sagt Susanne Ludwig. Die meisten Kinder haben in der Vergangenheit nahe Angehörige verloren, auf der Straße gelebt und an Unterernährung gelitten. Viele sind dadurch traumatisiert. Viele Fähigkeiten seien im Laufe des Projektes an die Oberfläche gelangt, sagt die Fotografin. Diese wertvolle Erfahrung, sich mittels Bildern verständlich zu machen, gab den Kindern und Jugendlichen viel Selbstvertrauen. "Für mich war es sehr wichtig, dass die Kinder mal zu Wort kommen. Sie haben sonst nicht die Möglichkeit, ihre Sicht der Welt zu zeigen", fasst Susanne Ludwig ihre persönliche Motivation zusammen.
Esperanto in Bildform
Und so bekommen Balima und die anderen Bewohner des Waisenhauses in Ouagadougou eine Stimme, die auch über die Landesgrenze hinweg verstanden werden kann. Denn die Bilder sprechen eine eigene, eine universelle Sprache: eine Art visuelles Esperanto. Sie erzählen von Wagen, voll behangen mit farbigen Plastikschüsseln, Körben und Teppichen; von kunterbunten Stoffen und Sommerschuhen; von kunstvollen Flecht-Frisuren auf Kinderköpfen und von lachenden Kindern.