Hunderte Visa für Imame in Deutschland
25. April 2018Sevim Dağdelen kann es nicht fassen: "Die Bundesregierung ist völlig naiv oder verantwortungslos", poltert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag und in den sozialen Netzwerken. Der Grund für Dağdelens Frust: Die Bundesregierung hat auch 2017 die Einreise von hunderten türkischen Imamen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) nach Deutschland erlaubt. Wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, haben 350 Ditib-Imame Arbeitsvisa mit einer Gültigkeit von 180 Tagen bekommen. Aus der Antwort geht auch hervor, dass das Ministerium keine Erkenntnisse darüber hat, ob die Imame das Land nach Ablauf der Frist wieder verlassen oder möglicherweise Asyl beantragt haben.
Skandale in der jüngsten Vergangenheit
Ditib, Deutschlands größter Moscheeverband mit rund 960 Moscheen und 800.000 gläubigen Muslimen als Mitglieder, gerät immer wieder in die Kritik. Erst im vergangenen Jahr war bekanntgeworden, dass türkische Imame der Ditib in Deutschland Gläubige ausspioniert haben sollen. Die Geistlichen wurden verdächtigt, Informationen über Anhänger der Gülen-Bewegung gesammelt und an das türkische Generalkonsulat in Köln berichtet zu haben. Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. Die Generalbundesanwaltschaft leitete daraufhin Ermittlungen ein.
Hinzu kam interner Streit: Mitte 2017 schmiss der gesamte Bundesvorstand der Jugendorganisation der Ditib hin. Der Vorwurf: Liberale Tendenzen würden im Verband unterbunden werden.
Vor wenigen Wochen folgte dann der nächste Skandal: Aus mehreren Ditib-Moscheen gelangten martialische Fotos und Videos von Kindern in Soldatenuniformen an die Öffentlichkeit. Die Kinder erinnerten an die Schlacht von Çanakkale, bei der im Ersten Weltkrieg Truppen des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk die Alliierten zurückschlugen.
Zwar beeilte sich der Dachverband der Ditib in einer Pressemitteilung die Ereignisse zu verurteilen, der öffentliche Schaden war da aber längst angerichtet.
Ramponiertes Image aufgrund der Nähe zu Ankara
Der Türkeiexperte Christoph Ramm arbeitet an der Universität Bern. Gegenüber der Deutschen Welle konstatiert Ramm dem Verband ein ramponiertes Image. "Ditib ist im Zuge des Putschversuches in der Türkei zu den 'bad guys' geworden. Stichwort 'Spionagevorwürfe', Stichwort 'Politik Erdogans', die er über die Ditib auch in Deutschland macht, zum Beispiel während der Zeit des Referendums. Letzten Endes ist das aber die Rolle, die die Ditib immer gehabt hat. Eigentlich auch für den türkischen Staat in Deutschland Lobbyarbeit zu betreiben."
Die Nähe von Ditib, formal ein unabhängiger deutscher Verein, zu Ankara ist unübersehbar. Die Imame in den Ditib-Moscheen werden von der türkischen Religionsbehörde Diyanet İşleri Başkanlığı (Diyanet) entsandt und bezahlt. Zwar ist die Türkei auf dem Papier ein säkularer Staat, sieht sich die Diyanet als Bollwerk gegen religiösen Extremismus und betont in schöner Regelmäßigkeit ihre "politische Neutralität", allerdings widerspricht schon das Organigramm der Organisation diesen Grundsätzen. Zum einen wird der Direktor der Behörde direkt vom türkischen Staatspräsidenten ernannt. Zum anderen ist es seit der Gründung der Diyanet 1924 das Ziel der Organisation, eine Auslegung des Islam im Einklang mit den Vorstellungen des türkischen Staates zu propagieren. Mit ihren 117.000 Mitarbeitern und fast 87.000 Moscheen ist sie heute eine der größten staatlichen Institutionen der Türkei.
Noch immer Geld aus öffentlicher Hand
Vor diesem Hintergrund kann Sevim Dağdelen über die Rolle der Ditib in Deutschland nur den Kopf schütteln. Die stellvertretende Fraktionschefin der Partei Die Linke findet es absurd, dass "ein Verband die Stärkung demokratischer Haltungen in Deutschland unterstützen soll, der in eine Spionage-Affäre verstrickt ist und an der Einschüchterung von Erdogan-Kritikern und Verfolgung von Andersdenkenden mitwirkt."
Dass sich an dieser Rolle auch nach den Skandalen der jüngeren Vergangenheit wenig geändert hat, zeigt ein profanes Beispiel: Ditib bekommt noch immer Geld vom deutschen Staat. Nachdem die Zahlungen an den Verband wegen der Spitzelaffäre 2017 zwischenzeitlich ausgesetzt wurden, fließt es seit einiger Zeit wieder. Seit 2012 hat die Ditib aus der öffentlichen Hand mehr als sechs Millionen Euro erhalten.