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"Afrika braucht einen Masterplan"

Iveta Ondruskova23. April 2015

Wie lassen sich Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer verhindern? Man muss "auch illegale Arbeit in der EU eindämmen", sagt Charles M. Huber aus dem Arbeitskreis Afrika der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im DW-Interview.

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Deutschland Bundestag Charles M. Huber MdB CDU
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Huber, brauchen wir bessere Möglichkeiten für eine legale Migration, um die Flüchtlingswelle aus Afrika Richtung Europa zu stoppen?

Charles M. Huber: Die Frage ist nicht, ob wir eine legale Migration brauchen, sondern wie wir illegale Schleuser-Praktiken stoppen. Hier handelt es sich nicht um eine altruistische Aktion von Menschen, die sagen: "OK, wir müssen armen Leuten helfen. Nein, sondern wir müssen sie erst einmal um ihre Ersparnisse erleichtern." Es geht hier immerhin um eine Gebühr zwischen 3000 und 5000 Euro. 3000 Euro entsprechen - für den Normalverdiener in Afrika - zwischen 1000 und 3000 Arbeitstagen. Und wer für eine Überfahrt 3000 bis 5000 Euro aufbringen kann, der gehört nicht zu denen, die am nächsten Morgen nichts mehr zum essen haben. Das ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite ist, dass man mit den Schleuser-Praktiken auch terroristische Netzwerke finanziert. Und hier haben wir es nicht mit Amateuren, sondern mit intelligenten Menschen zu tun, die sehr gut über die Wirkung der Bilder wissen, die wir aktuell im Fernsehen sehen und die sehr emotionalisierend und auch sehr tragisch sind. Jetzt steht an der ersten Stelle, dass wir Leben retten, das steht außer Frage. In dieser akuten Situation müssen wir uns um die Flüchtlinge kümmern. Das ist richtig. Aber das ist eine Nothilfe aus humanitären Gründen, keine dauerhafte Lösung. Im Gegenteil. Je mehr Menschen wir aufnehmen wollen, desto mehr wird man uns schicken. Und desto mehr werden die Schleuser und die kriminellen Banden verdienen.

Wie könnte man den Schleusern das Handwerk legen?

Es ist ja so: wir erfassen nur diese Menschen, die unmittelbar vor unseren Küsten sterben. Aber es gibt auch Menschen, die sterben schon kurz nach dem Ablegen. Und ein Lösungsansatz in jedem Fall ist oder könnte sein, dass man küstennah, das heißt außerhalb der drei Meilen Zone der nationalen Gewässer nordafrikanischer Länder, dass man da die Patrouillen verstärkt.

Der Sinn der Rettungsaktionen besteht darin, möglichst viele Bootsflüchtlinge zu retten. Aber was passiert mit den Menschen, die in Europa ankommen?

Ich gehe davon aus, dass der eine oder andere nicht das Geld für diese Überfahrt aufbringen kann. Diese Menschen landen oft in den Schleuser-Netzwerken. Das ist auch ein Thema, das bislang wenig diskutiert wurde. Wir haben es hier mit einem Joint Venture zwischen Terror-Netzwerken und der organisierten Kriminalität zu tun. Die Flüchtlinge werden in diesen Netzwerken zum Teil integriert: die Frauen in der Prostitution und die Männer im Drogenverkauf. Das mag jetzt so klingen als würde man sagen, man kriminalisiert Menschen, die unter dem Gesichtspunkt des Leids hierher kommen. Aber das ist die Realität. Es betrifft sicher nicht alle, aber es betrifft erschreckenderweise viele. Wir dürfen diese Geschäftspraktiken nicht unterstützen.

Für die aktuelle Flüchtlingskrise ist nicht nur Europa verantwortlich, sondern auch die afrikanischen Staaten, woher diese Menschen kommen. Was soll in den afrikanischen Staaten passieren, damit die Menschen eine Perspektive dort finden können?

Erst mal ein Umdenken. Afrika muss auch selbst pro-aktiv werden, das afrikanische Kapital muss in Afrika investiert werden und nicht ins Ausland geschafft werden. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass die Privatwirtschaft aus Europa einen Ansprechpartner in der Privatwirtschaft in diesen Ländern hat, nicht nur in der Politik. Es muss ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Eigendisziplin an den Tag gelegt werden. Weil jeder Politiker dort weiß, dass es ein Sicherheitsdefizit gibt. Jeder weiß, dass es terroristische Gruppen gibt und dass die einen großen Zulauf unter den arbeitslosen Jugendlichen haben. In denke, dass Afrika einen Masterplan für seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung braucht, um der Herausforderung der demografischen Entwicklung gerecht zu werden. In dortigen Ländern spricht man schon jetzt von einer Verdoppelung der Bevölkerung bis 2050. Außerdem: damit sich der Terrorismus in Afrika nicht ausbreitet, müssen wir ein Konzept zusammen mit afrikanischen Regierungen finden, wie wir die Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit dort entwickeln. Es geht darum, dass wir auf dem afrikanischen Kontinent eine Wertschöpfungskette entwickeln, die es den Leuten erlaubt, ökonomisch tätig zu werden.

Die meisten Mittelmeer-Flüchtlinge erreichen den europäischen Boden in Italien. Das Land fühlt sich jedoch überfordert und kann alleine das Problem nicht bewältigen. Wie kann man Italien helfen?

Italien können wir nicht helfen, indem wir Italien bemitleiden. Das mit Sicherheit nicht. Italien ist hier nur eine Anlaufstelle. In Italien und in der EU muss die illegale Arbeit eingedämmt werden. Wenn die Migranten in Europa ankommen, haben sie die Möglichkeit, billige Telefonkarten zu kaufen. Jeder holt sich sofort ein Handy, ruft in sein Ursprungsland an und sagt: "Ich habe es geschafft." Und eventuell auch:"Ich habe Arbeit." Dabei handelt es sich meistens um Schwarzarbeit, sei es in der Landwirtschaft als Erntehelfer oder Putzarbeit in Haushalten. Wenn diese Gelegenheit nicht da wäre, dann würde niemand sagen "Ich will unbedingt nach Europa." Denn dann würde er mit den 3000 oder 5000 Euro sich ein Taxi oder etwas anderes kaufen und würde in einem Geschäft tätig werden.

Wie kann Deutschland bei einem "Masterplan für Afrika" behilflich sein?

Das Wichtige ist, dass es überhaupt zu einem Ansatz kommt, dass die Menschen in armen Ländern sehen, dass eine Bewegung in Bezug auf wirtschaftliche Entwicklung kommt. Wir müssen in diesen Ländern duale Bildung fördern. Wir müssen die Privatwirtschaft in Deutschland und Europa ermutigen, in diesen Ländern tätig zu werden. Wir müssen den politisch Verantwortlichen in diesen Ländern sagen, dass sie die Sicherheiten für Investoren schaffen müssen, damit es zu einer wirtschaftlichen Dynamisierung auf der Ebene des Mittelstandes kommt. Von afrikanischer Seite müssen also die Grundbedingungen geschaffen werden, damit Menschen investieren. Und dann hat der Kontinent eine Chance.

Charles M. Huber, 58, ist seit 2013 Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er ist Hauptberichterstatter für Afrika der parlamentarischen CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss. Er ist Sohn eines senegalischen Diplomaten und einer deutschen Mutter aus Bayern.

Das Interview führte Iveta Ondruskova