"Hotspots": Athen meldet Vollzug
17. Februar 2016Spätestens seitdem ein vertraulicher Bericht der EU-Kommission Anfang des Jahres den Griechen schwere Mängel beim Grenzschutz bescheinigte, steht die Regierung in Athen von allen Seiten unter Druck: Brüssel drohte zeitweise mit einem Ausschluss aus dem Schengen-Raum; osteuropäische EU-Mitgliedstaaten wollen die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge blockieren; die Opposition wirft Linkspremier Alexis Tsipras Konzeptlosigkeit vor.
Anfang Februar ergriff Tsipras schließlich die Initiative und beauftragte die Armee mit der Errichtung von fünf Aufnahmezentren zur Registrierung und Verteilung Asylsuchender. Eigentlich sollten diese "Hotspots" für Flüchtlinge bis Ende 2015 fertig sein - so die ursprünglichen Zusagen aus Athen. Doch die zuständigen Behörden hinkten dem Zeitplan ewig hinterher.
Die Armee hat anscheinend nun geliefert: Am Dienstag überraschte Verteidigungsminister Panos Kamenos mit der Ankündigung, vier Hotspots auf den Inseln Lesbos, Samos, Chios und Leros seien fertig und ein weiteres Aufnahmezentrum auf Kos würde in den nächsten Tagen fertiggestellt. Täglich sollen dort bis zu 11.000 Flüchtlinge registriert werden können. Zudem seien zwei Aufnahmelager für jeweils 4000 Menschen nahe der Hauptstadt Athen und der zweitgrößten Stadt Thessaloniki im Bau und würden vermutlich bis Freitag fertiggestellt, versicherte Kamenos.
Geräuschlos geht das alles nicht über die Bühne: Vor allem in Thessaloniki, aber auch auf der Ferieninsel Kos protestieren Anwohner gegen die Errichtung von Flüchtlingseinrichtungen in ihrer Nachbarschaft. Nach anfänglichem Zögern scheint die Regierung die Protestaktionen nun zu ignorieren und ihr Versprechen erfüllen zu wollen, mindestens 50.000 Flüchtlinge auf Dauer in Griechenland unterzubringen. "Einem Elf-Millionen-Land muss es doch möglich sein, 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen", sagte Einwanderungsminister Jannis Mouzalas der Wochenzeitung "To Vima". Laut Mouzalas sei die Regierung derzeit in Verhandlungen mit Städten und Gemeinden über die Errichtung von weiteren Aufnahmelagern.
Unmut über die "Koalition der Unwilligen"
Griechenland reihe sich nun endgültig in die "Koalition der Willigen" zur Bewältigung der Flüchtlingskrise in Europa, sagt Angelos Syrigos, Professor für Völkerrecht am Panteion Universität Athen. Ähnlich wie in Sachen Finanzen, leite die Links-Rechts Regierung von Alexis Tsipras hiermit eine realistische Wende in der Flüchtlingskrise ein, nachdem sie lange Zeit eine Politik der offenen Tür verfolgt hätte, meint der Jurist und ehemaliger Staatssekretär im Athener Innenministerium. "Damit ziehen Griechenland und Deutschland an einem Strang. Ob das auch was bringt, erfahren wir erst beim anstehenden EU-Gipfel. Zu stark erscheint noch der Widerstand osteuropäischer EU-Länder, die als Verfechter einer restriktiven Flüchtlingspolitik gelten", mahnt Syrigos.
Mit Unmut reagiert Griechenland auf die ablehnende Haltung dieser "Unwilligen". Für Aufregung sorgt vor allem ein Plan der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei), die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge zu sperren, die von Griechenland über Serbien nach Mitteleuropa führt. In diesem Fall käme es auch aus Athener Sicht zu einem Rückführungsstau. Hunderttausende Neuankömmlinge würden dann in Griechenland festsitzen, da ihnen die Weiterfahrt in Richtung Norden verwehrt bliebe.
Rechtsprofessor Syrigos formuliert noch diplomatisch, wenn er feststellt, in der Flüchtlingsfrage gäbe es derzeit leider eine Spaltung zwischen dem "alten" und dem "neuen" Europa. Viel drastischer bringt es der stellvertretende Außenminister Nikos Xydakis auf den Punkt: "Wer sind die Länder, die Griechenland kritisieren? Es sind Partner, die nicht einmal eine einzelne Bettdecke für die Flüchtlinge zur Verfügung gestellt haben", klagte Xydakis laut Medienberichten beim jüngsten EU-Außenministertreffen.
Völkerrechtler Syrigos mahnt zur Nachsicht: "Wichtig ist zunächst, dass Griechenland seine Verpflichtungen hinsichtlich der Identifikation und Registrierung von Flüchtlingen erfüllt. Nur wer die eigenen Hausaufgaben erledigt, darf auch Forderungen stellen", so Angelos Syrigos.
Griechenlands wichtigste Forderung betrifft die Umsiedlung der Flüchtlinge, wie vor Kurzem auf EU-Ebene vereinbart. Versprochen war die Umverteilung von 66.400 Menschen in andere EU-Mitgliedstaaten, doch bisher wurden lediglich 218 Flüchtlinge umgesiedelt. Umso wichtiger ist es, dass die Regierung in Athen in der Tat ihre Hausaufgaben erledigt, mahnt der EU-Abgeordnete Miltos Kyrkos: "Sobald wir unseren Verpflichtungen nachkommen, liegt der Ball im Spielfeld der EU-Partner. Sie müssen sich dann, laut Absprache, um eine Umsiedlung der Flüchtlinge kümmern", sagt der sozial-liberale Politiker.
Schlüsselrolle für die Türkei
Da die Flüchtlinge weiterhin über das Nachbarland Türkei in Schlauchbooten nach Griechenland kommen, sieht die Regierung in Athen nicht zuletzt die Türken in der Pflicht, beäugt den Nachbarn aber auch kritisch. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" behauptete der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos noch im Januar, türkische Behörden würden kriminelle Schleuserbanden dulden.
Dennoch sieht man in Athen keine Alternative zu einer Zusammenarbeit mit der Türkei. Völkerrechtler Syrigos: "Natürlich fällt die Grenzkontrolle viel leichter, wenn die Flüchtlinge noch auf türkischem Festland sind. Sobald diese Menschen im Schlauchboot sitzen, wird alles nur noch komplizierter, denn sie müssen erst mal gerettet und identifiziert werden", mahnt der Jurist.
Man dürfe aber auch nicht vergessen: Die Türkei habe bereits mehr als zwei Millionen Menschen aus Syrien aufgenommen - und das ohne jegliche finanzielle Gegenleistung. Wenn man bedenke, wie sich Österreich aufregt, wenn es darum geht, 100.000 Flüchtlinge unterzubringen, so Syrigos, dann sei die türkische Aufnahmebereitschaft doch ein enormer Beitrag zur Krisenbewältigung.