Hotels öffnen Türen für Obdachlose
15. Februar 2021Christian kommt mit einem Lächeln durch die Tür. Er nimmt seinen Rucksack von den Schultern, zieht seine dünne Jacke aus und setzt sich aufs Bett. Das Zimmer, in dem er es sich bequem macht, ist ein Hotelzimmer der "Pension Reiter" in Berlin Friedrichshain. Seit November vergangenen Jahres dürfen hier Menschen ohne festen Wohnsitz die Nacht verbringen. Christian, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte, lebt seit einigen Jahren auf der Straße und freut sich über sein bequemes Bett: "Vorher habe ich in einem Container geschlafen, das war auch ok. Aber hier, das ist eine echte Pension. Das ist viel besser."
Abstand halten auch in der Notunterkunft
Sein früherer Schlafplatz war eine Notunterkunft auf dem Gelände der St. Pius Gemeinde. Im Rahmen der Kältehilfe stellt der katholische Träger jedes Jahr Betten für 40 Männer, die sonst den Winter auf der Straße verbringen müssten. Doch dieses Jahr war alles anders, erklärt Diakon und Leiter der Notunterkunft Wolfgang Willsch. Die Anzahl der Betten musste um die Hälfte reduziert werden – um in COVID-Zeiten den nötigen Hygieneabstand einzuhalten. Normalerweise schlafen Menschen wie Christian dort eng nebeneinander in Mehrbettzimmern oder auf Isomatten in großen Gemeinschaftsräumen.
Wolfgang Willsch suchte nach einer Lösung – und fand sie: "Wir sind sehr dankbar, dass wir die Pension nutzen können, weil hier die Menschen in Zweibettzimmern untergebracht sind", erklärt Willsch. "Das heißt wir haben nie mehr als zwei, maximal drei Personen zusammen in einem Raum."
Die Pension ist eine von mehreren Hotels in Berlin, die sich an dem Projekt beteiligen. Auch sie profitieren davon. Die Stadt zahlt den Besitzern eine Aufwandsentschädigung für die Übernachtungen. Das ist gern gesehenes Geld in Coronavirus-Zeiten, denn der Tourismus ist in Deutschland immer noch weitestgehend lahmgelegt.
In den vergangenen Tagen wurde noch deutlicher, wie wichtig diese Notunterkünfte für obdachlose Menschen sind. Bei Temperaturen bis zu minus 15 Grad ist das Übernachten auf der Straße lebensgefährlich. Die Berliner Kältehilfe hat also noch einmal aufgestockt, weitere Hotels wurden angefragt und haben ihre Türen geöffnet. Damit gibt es in Berlin jetzt 1426 Schlafplätze – so viele wie noch nie, sagt Stefan Straß, Sprecher der Berliner Sozialverwaltung.
Die Pandemie macht es Obdachlosen noch schwerer
In vielen Hotel-Notunterkünften, wie in der von Wolfgang Willsch, gibt es nicht nur ein Bett, sondern auch Frühstück und eine warme Mahlzeit am Abend. Das ist diesen Winter besonders wichtig, denn für wohnungslose Menschen ist es momentan schwierig Geld zu verdienen. Die Innenstädte sind leerer als sonst, Passanten gehen auf Abstand. Christian versucht trotzdem jeden Tag seine Obdachlosen-Zeitung zu verkaufen. Das funktioniere mal mehr, mal weniger gut, erklärt er.
Im Keller des Hotels gibt es einen Gemeinschaftsraum. An der Tür klebt ein "Rauchen verboten"-Schild. Es wurde mit "Raucherzimmer" überklebt. Christian setzt sich an einen der Tische. Die Einrichtung erinnert an Jugendherberge, die Luft ist stickig. Die lange Narbe, die sich von Christians linken Auge bis zu seiner Oberlippe zieht, sieht man im Neonlicht plötzlich sehr deutlich. Schwester Martha Arnould kommt mit zwei Tassen Tee durch die Tür. "Zweimal Zucker für dich, wie immer", singt ihre Stimme mit französischem Akzent.
Zukunftsperspektive durch Stabilität
Die Ordensschwester ist Teil der St. Pius-Gemeinde und kümmert sich um die Organisation vor Ort. Doch vor allem ist sie da, um den Männern zuzuhören und beizustehen. Sie sieht einen klaren Vorteil in der Notunterbringung hier im Hotel: Planungssicherheit. Solange sich die Gäste an die Regeln halten, können sie nämlich jeden Abend in ihr eigenes Bett zurückkommen.
Das bringe Stabilität: "Am Anfang kommen sie an und sind sehr schmutzig, sehr müde, haben Depressionen, sehen keine Zukunft. Aber nach ein paar Wochen sind sie schon ganz anders. Dann können wir uns die Zukunft gemeinsam anschauen." Manche von ihnen würden dann eine Arbeit finden, andere eine richtige Wohnung. "Etwas Besseres eben", ergänzt sie und lächelt herzlich hinter ihrer Maske.
Eine eigene Wohnung, das wünscht sich auch Christian. Er hat etwas Geld gespart und hofft, irgendwann wieder zurück in seine Heimat gehen zu können, nach Rumänien. "Vielleicht schon diesen Sommer, nach der Krise", fügt er hinzu und nimmt einen Schluck Tee. Bis dahin ist er hier erst einmal sicher.