Hopp, hopp, hopp, Atomraketen stopp!
10. Juni 2009Es sind Kirchenanhänger, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Ärzte, Juristen, Mitglieder der Grünen, der DKP, der SPD und auch der CDU, die sich am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten versammeln. Rund 300.000 Menschen demonstrieren an diesem Tag gegen die Stationierung US-amerikanischer Atomraketen in Deutschland. Sie sind dem Aufruf der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden gefolgt. Die erste Großkundgebung der westdeutschen Friedensbewegung ist gleichzeitig der Beginn einer breiten Widerstandsbewegung in Deutschland.
Es ist die Zeit des Kalten Krieges. Nato und Warschauer Pakt bedrohten sich gegenseitig mit Atomraketen. Die Sowjetunion richtet SS-20 Raketen auf Europa. Der Westen fasst daraufhin den so genannten Doppelbeschluss: Abrüstungsverhandlungen sollen mit der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II und Cruise Missiles einhergehen. Auch Bundeskanzler Helmut Schmidt befürwortet den NATO-Beschluss. In Deutschland formiert sich Widerstand gegen diese Nachrüstungspolitik. Immer mehr Menschen haben Angst vor dem Rüstungswettlauf und auch davor, dass die USA einen Atomkrieg auf Europa begrenzen und ihr eigenes Territorium aussparen könnten.
Frieden schaffen ohne Waffen
Demonstranten, die Transparente mit lila Friedenstauben und Palästinensertücher tragen, prägen das öffentliche Bild. Ganze Schulklassen sind dabei, ältere Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben wie die Theologin Dorothee Sölle. Die Friedensbewegung sei eine große Bekehrungsbewegung, sagt sie. "Es gehört ja auch Glauben dazu zu denken, dass die Kraft gewaltfreier Liebe größer ist als jede Waffe, die Menschen erfinden können."
Neben Heinrich Böll, Robert Jungk, Alfred Mechtersheimer, Pfarrer Heinrich Albertz und Uta Ranke-Heinemann, die Tochter des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten, sprechen Gäste aus vielen Ländern. Harry Belafonte singt Friedenslieder. "Wir wollen uns nicht lähmen", so Böll auf der Kundgebung. Was die Menschen nach Bonn treibt, ist die Angst vor dem Atomkrieg und die Vernichtung der Natur in all ihrer Vielfalt. Frieden schaffen ohne Waffen, so lautet die Parole der Kriegsgegner. Die Bundesrepublik verändert sich durch all die Friedenstauben – zumindest optisch. Vier Millionen Menschen unterzeichnen den "Krefelder Appell" gegen die Stationierung US-amerikanischer Mittelstrecken-Atomwaffen in Europa.
Eine Idee mobilisiert die Massen
1982 demonstrieren 500.000 Menschen erneut in Bonn. Es folgen weitere Großdemonstrationen mit Teilnehmern aus nahezu allen sozialen Schichten, die überall friedlich verlaufen. Die Friedensbewegung erreicht in der Bundesrepublik einen vorläufigen Höhepunkt. Vielfältige gewaltfreie Aktionen werden entwickelt, die auch Rückhalt in der Bevölkerung finden. zum Beispiel Sitzblockaden vor Militäranlagen. Damit "ist ein Präzedenzfall geschaffen worden", so der Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens, "der zeigt, dass im Kleinen, im Inneren Kooperation an die Stelle von Konfrontation treten kann." Dafür nehmen die Demonstranten auch Anklagen und Verurteilungen wegen Nötigung in Kauf. Die Friedensbewegung als soziale Massenbewegung verändert auch das kulturelle Klima der Bundesrepublik: Es gibt eine Bewusstseinsveränderung durch Aufklärung über die Irrationalität und moralische Verwerflichkeit eines Krieges.
Autor: Michael Marek
Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen