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Die Gewaltspirale der Hooligans

Fiona Clark / ch20. Juni 2016

Russische Fußball-Hooligans haben sich die Gewalt offenbar von englischen Schlägern früherer Jahre abgeschaut, verachten diese aber inzwischen als abgeschlafft. Fiona Clark berichtet aus Moskau.

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Schlägerei mit Fackel (Foto: Getty Images/C. Rose)
Bild: Getty Images/C. Rose

Nach Meinung des russischen Außenministers Sergej Lawrow kann man gewalttätigen russischen Fußballfans keinerlei Vorwurf machen, denn sie seien provoziert worden: "Wir können das absolut provokante Verhalten von Fans anderer Länder nicht ignorieren. Es gab empörende Fernsehbilder, wo auf einer russischen Fahne herumgetrampelt wurde, wo die russische Regierung und führende russische Sportler beschimpft wurden", zitiert das russische Nachrichtenportal "Sputnik" den Außenminister.

Hätte er doch die Zeitung "Komsomolskaja Prawda" gelesen. Dann hätte Lawrow erfahren, dass Provokation gerade zum Spiel der Hooligans gehört. Was für Außenstehende nach willkürlichen Angriffen randalierender Schläger aussieht, gehört nämlich anscheinend zu einer gut organisierten Strategie einer Hooligan-Subkultur, und einigen dieser angeblichen Fans geht es offenbar mehr um die Prügeleien als um die Fußballspiele. Sie haben sogar ihre eigene Sprache, Angriffspläne und Finanzorganisationen, die sie "Firmen" nennen. Und sie sagen, sie hätten alles von den Engländern gelernt, weil die Engländer seit Jahrzehnten die besten darin seien.

Von den 1960er Jahren bis kurz nach der Jahrtausendwende war Gewalt bei britischen Fußballspielen die Norm: Rempeleien, Hooligans, die das Spielfeld stürmten, Schlägereien waren an der Tagesordnung. Menschen wurden sogar im Getümmel niedergetrampelt, und einige kamen dabei ums Leben. Das schöne Spiel, zu dem man früher mit der ganzen Familie ging, verkam in Großbritannien zu einem Alptraum, den man nur durch ständige Verbote und Geldstrafen für Clubs wieder unter Kontrolle brachte. Dann gingen die Fans mit der Gewalt sozusagen auf Tournee und trugen sie bei Auslandsspielen ihrer Mannschaft aus. Als Folge eines schweren Vorfalls in Brüssel, bei dem 39 Juventus-Fans ums Leben kamen, wurden dann von 1985 bis 1990 englische Teams von europäischen Spielen ausgeschlossen. Zuhause führten Verbote, Strafen und Anti-Gewalt-Kampagnen schließlich zu einer Beruhigung, und auch Familien begannen wieder, Spiele zu besuchen. Heutzutage hat sich die Gewalt vom Stadion wegbewegt und wird an bestimmten, festgelegten Orten abseits der Spielstätten ausgetragen.

Sergej Lawrow (Foto: Getty Images/AFP/M. Ngan)
Außenminister Lawrow: Russen sind provoziert wordenBild: Getty Images/AFP/M. Ngan

Gute Organisation

So ist es auch in Russland. Die Hooligan-Gewalt begann hier etwas später, hat aber in den letzten Jahren mit dem Aufstieg des Rechtsnationalismus und der Neonaziszene deutlich zugenommen. Clubs wie Dynamo und ZSKA Moskau sind für ihre Fangewalt und ihren Rassismus bekannt. Seit die Behörden Gewaltausbrüche bei Spielen unter Kontrolle gebracht haben, suchen sich diejenigen, die auf Schlägereien aus sind, entfernte Orte weit weg von der Polizei, um sich zu prügeln. Doch wenn russische Schläger ins Ausland fahren, lassen sie ihre Rivalität hinter sich und scharen sich hinter einer "Firma", die ihnen bei den Fahrtkosten und der Organisation unter die Arme greift und die "Einsatzbedingungen" festlegt.

Die "Komsomolskaja Prawda" beschreibt die Struktur der Fans und Schläger. Zunächst gebe es den "kuzmich", den gewöhnlichen Fußballfan, der nichts mit Gewalt zu tun hat. Er fahre "mit der Familie oder mit der Freundin zur EM", und auch wenn er ein paar Bier trinke und "Russland, Russland" schreie, gelte er bei den Schlägern als "wertlos".

Als nächste kommen die "aktiven Fans" oder "huliganz". Das sind Kämpfer, die aktiv an "Aktionen" oder "Sprüngen" teilnehmen, schnellen Angriffen, gefolgt von ebenso schnellen Rückzügen. Das sind normalersweise "junge Männer in guter körperlicher Verfassung und Erfahrung im Straßenkampf", so das Blatt. Wichtig ist, diese Leute trinken nicht, bevor sie schlagen.

Dann gibt es die notorischen "Ultras", die oft hinter den Toren sitzen und die zentralen Figuren bei allen Gewalttätigkeiten sind. Sie alle werden von der "Firma" organisiert, meint die Zeitung. Die "Firma" gebe der Gruppe einen Namen, Symbole, Geld und Führung.

Gewalt im Stadion (Foto: picture-alliance/dpa)
Vor dem Spiel Liverpool-Juventus Turin 1985 in Brüssel kommt es zu tödlichen Ausschreitungen zwischen FansBild: picture-alliance/dpa

Die alten Vorbilder taugen nicht mehr

Auch wenn es bei vielen dieser Gewaltausbrüche zu zahlreichen Verletzten kommt, glauben viele Russen, ihr Land werde gegenüber anderen unfair behandelt und das sei nur ein weiteres Beispiel für eine Doppelmoral des Westens. Einige russische Parlamentsabgeordnete haben die Gewalt sogar verteidigt, als gehörte sie dazu.

So zum Beispiel Igor Lebedew, der auch ein hoher Funktionär im russischen Fußballverband ist. Er tweetete: "Ich kann nichts Negatives dabei finden, wenn sich Fans prügeln, im Gegenteil. Gut gemacht, Jungs, nur weiter so."

Andrej Malosolow, früher Pressechef des russischen Fußballverbandes, unterstützte ebenfalls die Gewalt und fragte: "Verdienen die Russen etwa keinen Respekt wegen ihrer Furchtlosigkeit? Sie schlagen die Bürger eines Landes, das schon immer ein Feind Russlands war."

Der russische Sportminister verurteilte die Gewalt, aber vor allem, weil er befürchtete, Russland könne von künftigen Spielen oder - schlimmer noch - von der Weltmeisterschaft 2018 ausgeschlossen werden.

Die "Komsomolskaja Prawda" schrieb, es sei die Gewalt im Stadion, die "ein großer und vielleicht fataler Fehler" gewesen sei. "Alles, was in der Stadt passiert, fällt unter die Verantwortung der Polizei. Für die Begegnungen im Stadion ist die UEFA zuständig", und die UEFA werde über mögliche Verbote entscheiden.

Was die ehemaligen englischen Vorbild-Hooligans betrifft, so machen sich viele Russen allerdings in den sozialen Medien inzwischen über sie lustig. Sie seien heute übergewichtig, schlaff und betrunken - mit anderen Worten, leichte Beute.