Fußball, Gewalt und Politik
10. Juni 2010Diese Personen hätten nicht ausreisen dürfen. Zum Glück haben die südafrikanischen Sicherheitskräfte sie zurückgeschickt", sagt Mónica Nizzardo über die zwölf argentinischen Hooligans, denen am Montag (06.06.2010) am Flughafen von Johannesburg die Einreise nach Südafrika verwehrt wurde. "Ich bin wirklich dankbar, dass die Südafrikaner uns zeigen, was hier in Argentinien versäumt wurde", fügt die junge Frau hinzu. Nizzardo ist Gründerin der Initiative "Salvemos al Futbol", zu deutsch "Lasst uns den Fußball retten". Retten - wovor?
Vor den berüchtigten gewaltbereiten Fans, die in Argentinien Barrabravas heißen. "Barrabravas sind Leute, die die Fußballclubs für ihre Geschäfte benutzen. Und die Vereine lassen sich von ihnen benutzen. Oft werden Barrabravas auch als Schlägertrupps beschäftigt, etwa von Gewerkschaftern oder Politikern", erklärt Mónica Nizzardo das Phänomen der Hooligans und ihrer engen Beziehungen zu den Mächtigen der argentinischen Gesellschaft im Allgemeinen und der Fußballclubs im Besonderen.
Mitverantwortung der Fußballclubs
Nizzardo weiß, wovon sie spricht. Sie gehörte selbst einige Jahre zur Leitung eines Vereins: des Club Atlético Atlanta in Buenos Aires.Und zeigte 2004 einen Hooligan an, der in den Vereinsraeumen gewütet hatte. Das hatte noch keiner gewagt in den argentinischen Fussballclubs, deren Führungen sich meist mit den gewalttätigen Fans arrangieren, sie entweder ertragen oder sie sich sogar zunutze machen.
Gustavo Grabia, Sportjournalist, spezialisiert auf die Barrabravas, benannte unlängst in einem TV-Interview die große Mehrheit der Vereins-Oberen als Mitverantwortliche für das Problem. Sie nutzten die Hooligans in der Club-Politik, begünstigten sie auf alle möglichen Weisen, so Grabia. Auch hätten sie mit angesehen, dass die Barrabravas in den Vereinen ein wachsendes Gewicht bekommen haben. Die Kämpfe der Barrabravas würden heute vielfach nicht zwischen den Clubs, sondern zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb der Vereine ausgefochten, glaubt Gustavo Grabia. Dabei gehe es nicht mehr um die Mannschaft, sondern um Geld und Geschäfte: etwa mit dem Schwarzverkauf von Eintrittskarten.
Auf Regierungskosten zur WM?
Für die empörte argentinische Öffentlichkeit sind die Barrabravas kriminelle Nichtsnutze, die durch Gewalt und Erpressung bekommen, was sie wollen. Und jetzt, heißt es, fliegen sie auch noch auf Staatskosten zur Fußball-WM. Im vergangenen Jahr wurden die "Vereinten Fangruppen Argentiniens" gegründet – rund 300 Barrabravas mit Reiseziel Südafrika. Da an der Spitze ein Puntero steht, ein Basispolitiker mit Nähe zum Ehepaar Kirchner – Präsidentin Cristina und Peronistenchef Nestor - vermuten viele Argentinier, dass die Regierung den Hooligans die Reise finanziert. "Wir Bürger wollen wissen, auf welche Weise Personen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, in den Genuss einer Reise kommen, die sich normal arbeitende Menschen nicht leisten können", fordert Mónica Nizzardo. Ihre Initiative "Lasst uns den Fußball retten" hat wegen der Hooligan-Reisegruppe Anzeige erstattet - unter anderem gegen den argentinischen Kabinettschef Aníbal Fernández. Die Barrabravas könnten nicht durch Einkommensbelege beweisen dass sie die Reise selbst bezahlt hätten, sagt Nizzardo. Ermitteln müsse die Justiz auch, weil die "Vereinten Fangruppen" von einem Politiker angeführt wuerden, und weil sie bei Fußballspielen Fahnen mit einem "K" und einem Pinguin geschwenkt hätten, dem Symbol der Kirchners.
Regierung bestreitet Finanzierung
Kabinettschef Fernández hat jegliche Verantwortung und finanzielle Beteiligung der Regierung bestritten. Diese habe keinerlei Interesse daran, dass gewalttätige Fans zur WM reisten. Fernández zufolge haben argentinische Behörden den südafrikanischen Sicherheitskräften Daten von etwa 800 Hooligans zur Verfügung gestellt. Unter den 12 Personen, die das WM-Land nicht einreisen ließ, war ein Barrabrava, der eine Bewährungsstrafe wegen versuchten Mordes verbüßt. Warum konnte er ausreisen, wundert sich Argentiniens Öffentlichkeit.
Und was sagt der mächtige Fußballverband AFA zu dem Hooligan-Reise-Skandal? "Eine Tragödie. Diese Barrabravas, das ist sehr schlimm", klagt Ernesto Cherquis, Sprecher der AFA. Und versichert, dass sein Verband aktiv dazu beigetragen habe, Südafrikas Behörden mit Informationen über die argentinischen Hooligans zu versorgen. Die AFA habe mit diesen Leuten nichts zu tun, sagt Cherquis. "Wir sind selber Opfer dieser Situation. Ich will nur eins, dass Argentinien Weltmeister wird. Und dass das Image des argentinischen Fußballs, unserer Fans und unseres Landes durch diese Außenseiter nicht befleckt wird." Doch für viele Argentinier sind solche Aussagen Heuchelei. Denn der Fußballverband AFA besteht aus Vertretern der Vereine. Derselben, die die Barrabravas gewähren lassen.
Autorin: Victoria Eglau
Redaktion: Sven Töniges