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Politik

Honduras und der "Pyjama-Putsch"

28. Juni 2019

Ideologische Grabenkämpfe und eine ausgeprägte Unfähigkeit zum Dialog führten vor zehn Jahren zum Sturz von Präsident Manuel Zelaya. Es war der Beginn einer Ära der demokratischen Regression in Lateinamerika.

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Costa Rica 2009 | Manuel Zelaya, Ex-Präsident von Honduras
Bild: picture-alliance/dpa/J. Arguedas

"Es war ein idiotischer Putsch". Aristides Mejía schüttelt noch heute den Kopf, wenn er an den Umsturz in Honduras vor zehn Jahren denkt. Soldaten weckten den damaligen Präsidenten Manuel Zelaya in seinem Palast und erklärten ihn für abgesetzt. Er wurde - angeblich noch im Pyjama - unverzüglich außer Landes gebracht. Im schlabbrigen T-Shirt hielt er noch am Flughafen in Costa Rica eine aufsehenerregende Pressekonferenz (Bild oben). Mejía war damals Vizepräsident. Er hat den fatalen Ausgang kommen sehen – doch aufhalten konnte er ihn nicht. "Zelaya hörte nicht auf meine Warnungen", sagt er im Interview mit der DW. Unterstützung bekam Mejía damals von US-Botschafter Hugo Llorens, der mehrfach versuchte zu vermitteln. Vergeblich.

Die beiden verfeindeten Lager rasten aufeinander zu wie Schnellzüge auf Kollisionskurs. Auf der einen Seite der populäre Zelaya, unterstützt von Basisorganisationen und linken Intellektuellen. Auf der anderen Seite die konservative Elite des Landes mit ihren Bastionen in Kongress, Justiz und Unternehmerschaft und mit Unterstützung der Kirche. Als Zünglein an der Waage fungierten - wie so oft in derartigen Krisensituationen in Lateinamerika - die Streitkräfte.

Den Ausschlag gaben die Streitkräfte

Monatelang schaukelte sich der Konflikt hoch. Die Elite misstraute Zelaya, der sich ins Fahrwasser des venezolanischen Linkspopulisten Hugo Chávez begab und für sein Land eine Verfassungsänderung anstrebte – mit dem Ziel, für sich selbst eine bis dahin verbotene Wiederwahl zu ermöglichen. Doch es ging nicht nur um Ideologie, sondern auch um Geschäfte. Die Erhöhung des Mindestlohns und die Kürzung von Steuervorteilen verstimmte die Unternehmer - trotz hoher Wachstumsraten im Land. Persönliche Animositäten und eine politisierte Justiz spielten ebenso eine Rolle wie amateurhafte Fehler. So kümmerte sich Zelaya nicht um die internen Wahlen seiner Liberalen Partei, die in die Hände eines Gegenspielers kam. Was zur Folge hatte, dass Zelaya die Kontrolle über den Kongress und die dort ernannten obersten Richter und Staatsanwälte entglitt. Zelaya fühlte sich ausgebootet und radikalisierte sich zusehends.

Flash-Galerie Manuel Zelaya Honduras
Der Cowboyhut als Markenzeichen: Honduras' Ex-Präsident Manuel ZelayaBild: dapd

Das Fass zum überlaufen brachte sein Bestreben, die Streitkräfte dafür heranzuziehen, die umstrittene Volksabstimmung mitzuorganisieren. Mejía, der bis wenige Monate vor dem Putsch Verteidigungsminister gewesen war, glaubt, dass sich die Streitkräfte am liebsten ganz aus dem Konflikt herausgehalten hätten. Doch das änderte sich, als ein Gericht die Volksbefragung verbot, die Streitkräfte dem Urteil Folge leisteten und Zelaya daraufhin den Generalstabschef absetzte. Mit seinem Getreuen stürmte Zelaya die Kaserne, in der die Wahlunterlagen lagerten.

US-amerikanischer Einfluss

Die Vorfälle vom Juni 2009 haben unterschiedliche Interpretationen gefunden. "Es war ein Plan der konservativen Nationalen Partei", ist der Verfassungsrechtler Melvin López überzeugt. "Sie sah die Chance, die bis dahin dominante Liberale Partei zu spalten und sich selbst die Macht auf Dauer zu sichern." Tatsächlich verließen die treuesten Zelaya-Anhänger nach dem Putsch die Partei und gründeten eine neue Vereinigung namens "Libre". Linke Historiker sehen in Honduras eine Blaupause für eine von den USA angezettelte konservative Restauration, denn auf ähnliche Art wurde später auch der progressive paraguayische Präsident Fernando Lugo abgesetzt. Konservative hingegen sind überzeugt, dass der Putsch das geringere Übel war, denn er habe dem Land ein Chaos wie derzeit in Venezuela erspart.

Honduras Tegucigalpa Proteste gegen Regierung.
Honduras wird derzeit von Protesten erschüttert, die sich gegen den amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández richten. Bild: Getty Images/AFP/O. Sierra

Beide Interpretationen freilich sind umstritten: Für einen US-Umsturzplan fanden sich keine belastbaren Hinweise. Und unter der konservativen Herrschaft blühen Korruption, Gewaltkriminalität, Autoritarismus und Drogengeschäfte, so dass Honduraner zu Hunderttausenden Richtung USA flüchten. Von einer demokratischen Konsolidierung blieb das Land weit entfernt. Der konservative Präsident Juan Orlando Hernández setzte - ebenfalls verfassungswidrig, allerdings geschickter als Zelaya - dank der von ihm kontrollierten Justiz im Jahr 2017 seine Wiederwahl durch.

"Unter den Spätfolgen dieses Umsturzes leiden wir bis heute", sagt der Soziologe und Schriftsteller Juan Ramon Martínez. Der Putsch isolierte Honduras, schwächte seine Institutionen, leistete dem Autoritarismus von Hernández Vorschub, enthüllte die diplomatischen Grenzen der regionalen Integrationsbündnisse wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und markierte den Beginn einer Ära, in der die Streitkräfte auf die politische Bühne zurückkehrten. Honduras ist bis heute polarisiert, was zu permanenter Instabilität führt. "Nur eine Erneuerung der politischen Führungsfiguren und ein Pakt der Nationalen Einheit können uns aus dieser Sackgasse führen", ist Mejía überzeugt.