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Politik

Holt Morawiecki Polen raus aus der Isolation?

Paul Flückiger
8. Dezember 2017

Nach dem Rücktritt von Regierungschefin Beata Szydlo soll Wirtschaftsminister Morawiecki Polen international voranbringen. Der Wechsel fällt mitten in die Auseinandersetzungen um die umstrittene Justizreform.

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Polen Mateusz Morawiecki
Polens Wirtschaftsfachmann Mateusz Morawiecki wird künftig Regierungschef (Archivbild)Bild: Reuters/Agencja Gazeta/Patryk Ogorzalek

Dem Rücktritt von Polens Regierungschefin Beata Szydlo vorausgegangen war der wohl politisch nervöseste Tag seit der Machtübernahme der rechtspopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) vor gut zwei Jahren. Zwar hatte Szydlo ein Misstrauensvotum der liberalen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) noch gut überstanden - doch dem Druck hielt sie am Ende nicht stand. Dieser hatte sich über Wochen aufgebaut, nachdem Szydlo bereits Ende Oktober eine große Regierungsumbildung angekündigt hatte.

Morawiecki soll Polens Isolation aufheben

Nach langen Spekulationen am Donnerstagabend dann die Entscheidung: Szydlo soll durch Polens mächtigen Wirtschaftsminister und Vizepremierminister Mateusz Morawiecki ersetzt werden. Der Wechsel kommt einer Sensation gleich. Zwar werden dem Ex-Banker seit langem große Führungsqualitäten nachgesagt, auch wurde sein Ministerium immer wieder erweitert und mit neuen Kompetenzen ausgestattet. Doch gilt der international nicht ganz unbekannte Morawiecki als ziemlich unabhängiger Denker, der durchaus auch Polens starkem Mann, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, gefährlich werden könnte.  

Polen Beata Szydlo beim EU-Gipfel in Brüssel
Welches Amt wartet auf Szydlo nach ihrem Rücktritt?Bild: picture-alliance/dpa/AP/O. Matthys

Das war bei Szydlo nicht gerade der Fall. Sie schien von ihrem Amt oft intellektuell überfordert, was besonders auf EU-Gipfeltreffen klar wurde. Dafür genoss sie den Ruf, dem Parteichef treu ergeben zu sein. Kaczynski mag sich von ihrem Nachfolger nun einen Ausbruch Polens aus der zunehmenden internationalen Isolation erhoffen. Denn Morawiecki gilt auch als das "nette Gesicht der PiS" - was man von der selten lächelnden und dafür umso verbissener handelnden Szydlo nicht behaupten konnte. Allerdings war sie bei den Wählern durchaus beliebt, während jeder fünfte Pole laut einer Umfrage noch nie von Morawiecki gehört hat. Das soll sich nun ändern. Schon am kommenden Dienstag soll der Wirtschaftsfachmann die Regierungsgeschäfte übernehmen. Sein Kabinett indes soll erst nach Neujahr umgebildet werden.

Und Szydlo? "Wir wollen, dass sie weiterhin eine wichtige Rolle in der Regierung innehat", sagte die Pressesprecherin der Fraktion, Beata Mazurek - und sorgte dafür, dass die Spekulationen um die Regierungsumbildung weitergehen. Laut Insiderinformationen soll Szydlo Vizepremierministerin werden, unklar ist allerdings, in welchem Ressort. Im Gespräch ist offenbar das Sozialministerium.

Abstimmung über Justizreform

Der überraschende Wechsel an der polnischen Regierungsspitze fällt mitten in die letzten Auseinandersetzungen um die umstrittene Justizreform. Nach dreimonatiger Wartezeit stehen die abschließenden Gesetzestexte an diesem Freitag im Sejm, Polens großer Kammer, zur Abstimmung. Dabei soll über die Reform des Obersten Gerichts sowie den Landesrichterrat entschieden werden. Die beiden Gesetze sehen einen größeren Einfluss von Regierungspartei und Justizministerium auf die Rechtsprechung auf allen Ebenen vor. Laut der liberalen Opposition und der Europäischen Kommission hebeln sie jedoch die Unabhängigkeit der Justiz weitgehend aus.

Andrzej Duda
Stimmt Polens Präsident den überarbeiteten Gesetzentwürfen zu?Bild: picture alliance/Pap/P.Supernak

Beide Gesetze waren im Sommer von Staatspräsident Andrzej Duda nach den bisher größten Straßenprotesten mit einem Veto belegt worden. Seitdem geht ein Riss durch die Regierungspartei, manche sprechen gar von einer bald zu gründenden Präsidentenpartei. Duda hält sich darüber bedeckt.

Stattdessen versprach er damals, eigene Justizreformvorschläge im Parlament einzureichen. Anfang September stellte er zwei überarbeitete Gesetzestexte vor und überwies sie ins Parlament. Im Wesentlichen forderte Duda mehr Mitspracherechte für die Opposition bei der Richterwahl und eine weniger starke Aussortierung der Höchstrichter. Ursprünglich wollte die PiS alle Höchstrichter entlassen und neu bestimmen. Nun sollen nur noch 40 Prozent von ihnen ihre Stelle verlieren: alle Höchstrichter, die das 65. Lebensjahr erreicht haben. Damit müsste auch die streitbare Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Malgorzata Gersdorf, gehen, obwohl ihre reguläre Amtszeit erst 2019 endet.

Gesetze des Präsidenten verwässert

Nun hat die PiS allerdings in den vergangenen Wochen bei den Lesungen im Parlament die Vorlagen Dudas reichlich zerzaust. Über drei Dutzend Änderungen wurden zum ursprünglichen Gesetzestext hinzugefügt. Kritiker sagen, von Dudas Vorschlägen sei nicht mehr viel übrig geblieben. Parallel dazu kam es jedoch zu Verhandlungen zwischen dem Präsidialamt und der Parteiführung, auch direkten Gesprächen zwischen Duda und Parteichef Kaczynski. Dabei wurden bisher undurchsichtige Kompromisse erzielt, die Duda davon abhalten sollen, die beiden Gesetze erneut mit seinem Veto zu belegen. Dies hatte er nämlich angedroht, falls seine Intentionen mit Zusätzen unterwandert würden.

Polen Jaroslaw Kaczynski liest im Buch Atlas of Cats
PiS-Parteichef Jaroslaw KaczynskiBild: Reuters/Agencja Gazeta/S. Kaminski

Die zwischen Duda und Kaczynski erzielten Kompromisse sollen die Zusammensetzung des Ministerrats betreffen. Es ist kein Geheimnis, dass Duda den umstrittenen Verteidigungsminister Antoni Macierewicz am liebsten ersetzt wissen würde. Immer wieder gerät sich Duda als verfassungsgemäßer Oberster Heeresführer in Friedenszeiten mit dem machtbewussten Kaczynski-Intimus in die Haare. Auch Justizminister Zbigniew Ziobro ist nicht Dudas Freund. Die beiden haben zusammen in Krakau Recht studiert und sehen sich schon lange gegenseitig als Konkurrenten an. Welche Ministerwechsel indes möglich sind, wissen allein Parteichef Kaczynski und sein neuer Premierminister Morawiecki. Umso wilder schießen nun auch darüber die Spekulationen ins Kraut.