Hohe Suizidrate unter ehemaligen Soldaten und Lagerinsassen in Bosnien
25. Mai 2005Zehn Jahre nach dem Ende des Bosnien-Krieges leiden noch immer schätzungsweise mehrere zehntausend Menschen an einer ganz besonderen Folge des Krieges: dem so genannten posttraumatischen Stresssyndrom (PTSS). Zahlreiche ehemalige Soldaten, Lagerinsassen und andere am Krieg Beteiligte haben Selbstmord begangen. Über dieses Problem wird in Bosnien-Herzegowina wenig oder kaum gesprochen. Offizielle Statistiken gibt es darüber nicht.
Aufmerksamkeit des Staates erforderlich
Daher haben Vertreter von ehemaligen Soldaten und Lagerinsassen in der Föderation und in der Republika Srpska ein gemeinsames Projekt ins Leben gerufen, das PTSS-Kranken Hilfe bieten soll. Die Initiatoren beabsichtigen mit dem Projekt, die Staatsorgane auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Dennoch noch immer schweige die Politik zu diesem Thema, sagen die Initiatoren und weisen zugleich auf die alarmierende Lage, auf die Zahl der Selbstmorde und die steigende Gewalt in den betroffenen Familien hin.
Der ehemalige Lagerinsasse, Marinko Ljoljo, überlebte die Torturen im Lager Jablanica in der Herzegowina, das heute eine Gedenkstätte ist. Heute koordiniert er das Projekt. Ihm zufolge leiden 20 Prozent der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina am PTSS, rund 70 Prozent der ehemaligen Lagerinsassen, Soldaten und aktiven Kriegsbeteiligten weisen alarmierende Symptome dieser Krankheit auf.
Zahlreiche junge Menschen traumatisiert
"Eine der Folgen ist auch, die ausgeprägte Neigung zum Suizid. Wir verfügen aber nur über annähernd richtige Angaben", so Ljoljo. So existiere keine offizielle Statistik, weil sie keiner geführt habe und auch keine Untersuchungen vorgenommen würden. Seine Nicht-Regierungsorganisation verfolge die Fälle allerdings auf freiwilliger Basis. "Demnach haben 1.400 Menschen in Bosnien-Herzegowina als Folge von PTSS Selbstmord begangen haben. Unter ihnen waren 70 Prozent Lagerinsassen. Die erlittenen Qualen, die schwierigen Lebensumstände danach, Arbeitslosigkeit, komplizierte medizinische Behandlungen und andere Faktoren beeinflussen die Menschen und können letztendlich dazu führen, dass sie die Hand gegen sich erheben", so Marinko Ljoljo.
Ljoljo wies ferner auf die hohe Zahl junger Menschen hin, die Kriegstraumata erlebt hätten. In solchen Familien herrsche immer mehr Gewalt, was zusätzlich verstärkt würde durch Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit. Die Projektteilnehmer betonen, dass die von ihnen initiierte Arbeit vom Staat übernommen werden müsse, wenn dieser eine bessere Zukunft für seine Bürger wolle.
Zoran Matkic, Brcko
DW-RADIO/Bosnisch, 22.5.2005, Fokus Ost-Südost