Immer mehr Türken brauen selbst
8. Januar 2018"Erst einmal brauchen wir heißes Wasser", erklärt Vuslat Özdemirhan. Seine Küche ist vielleicht die kleinste Brauerei von Istanbul. Einmal im Monat produziert er in einem speziellen Plastikeimer sein eigenes Bier. Malz, Zucker, Hefe - das sind die Zutaten. Die Dosierungsanleitung hat sich Vuslat aus dem Internet beschafft. Und inzwischen hat er auch die nötige Übung. "Ich mache das vor allem, um Geld zu sparen", sagt er. "Alkohol ist in der Türkei dermaßen teuer geworden - ich kann mir das einfach nicht mehr leisten. Das Bier, das ich hier braue, kostet mich nur ein Viertel dessen, was ich im Laden bezahlen würde."
Wie er würden inzwischen tausende Türken zu Hause brauen, erzählt Vuslat. Auch wenn das nicht ganz ungefährlich ist. Bier, Cidre oder den beliebten Anisschnaps Raki - on Internet-Foren tauschen sich die Privatbrauer über Rezepte und Aromen aus. Vuslat zum Beispiel schwört auf Bier mit einem leichten Kaffeegeschmack. Die Mischung, die er gerade anrührt, muss etwa vier Wochen gären, erst dann ist sie zapfbereit.
Steigende Alkoholsteuern
Weil die Mehrheit der rund 80 Millionen Türken Muslime sind, wird hier grundsätzlich weniger Alkohol getrunken als in vielen anderen Ländern. In Deutschland zum Beispiel ist der Pro-Kopf-Verbrauch fünf Mal höher.
Doch während sich Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, der den Säkularismus einführte, gerne mit einem Glas Raki in der Öffentlichkeit zeigte, ist Präsident Recep Tayyip Erdogan - ein frommer Muslim - kein Freund von Alkohol. Unter seiner islamisch-konservativen Regierung sind die Alkoholsteuern in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Bei manchen Getränken machen sie inzwischen zwei Drittel des Preises aus. Dazu kommt die hohe Inflation - für viele Türken wird das Ausgehen immer mehr zum Luxus.
Das macht sich auch in der Kneipenszene im europäischen Teil von Istanbul bemerkbar. Viele Barbesitzer klagen über sinkende Umsätze. Borak Koçoğlu steht zwar noch jeden Abend hinterm Tresen, aber er kennt auch viele Wirte, die längst aufgegeben haben. Kein Wunder bei den Preisen, sagt er. Ein Glas Raki zum Beispiel kostet heute zwei bis drei Mal mehr als vor einigen Jahren. "Es wird immer schlimmer. Die Steuern werden zweimal im Jahr erhöht, gerade jetzt erst wieder", sagt Kocoglu. "Ich habe wirklich das Gefühl, dass es die Behörden darauf anlegen, Bars und Clubs dicht zu machen. Vielleicht geht es auch um Religion."
Ayran statt Raki?
Die Regierung sagt, ihre Steuerpolitik habe nichts mit Religion zu tun. Aber Präsident Erdogan macht auch keinen Hehl daraus, dass er nicht den Anisschnaps Raki, sondern lieber den alkoholfreien Joghurt-Drink Ayran als Nationalgetränk hätte. Und er macht sich persönlich für strengere Gesetze stark: Seit 2014 ist in der Türkei jegliche Werbung für Alkohol verboten - das gilt für Ladenbesitzer, Restaurants, Kneipen oder Supermärkte. Alkohol-Produzenten dürfen nicht mehr als Sponsoren werben, das Markenlogo darf nicht zu sehen sein. Trinkszenen in Filmen oder TV-Serien müssen verpixelt werden. Seit 2013 dürfen Geschäfte zwischen 10 Uhr abends und 6 Uhr morgens keinen Alkohol mehr verkaufen. Nur in Kneipen und Restaurants darf man zu jeder Zeit trinken. Als Grund für die Verbote führt die Regierung die Volksgesundheit an. Kritiker dagegen sehen in den Gesetzen und den steigenden Alkoholsteuern weitere Belege für die schleichende Islamisierung des Landes.
Im Istanbuler Stadtteil Üsküdar, wo viele konservative Muslime leben, beschwert sich niemand über zu hohe Alkoholpreise. "Ich bin für ein komplettes Verbot", sagt ein junger Mann. "Niemand sollte trinken. Das ist schädlich." Ein anderer stimmt ihm zu: "Es sollte mehr Verbote geben, um unsere Kinder zu schützen." Im Islam sei Alkoholkonsum verboten, sagt eine Frau, die gerade aus der Moschee kommt, "aber jeder sollte für sich selbst entscheiden."
Ähnlich sieht das Vuslat Özdemirhan. Er will auch in Zukunft selbst bestimmen können, was er trinkt. Außerdem ist er überzeugt: "Selbstgebraut schmeckt es am besten."