Reporterin im Tsunami-Chaos
18. April 2013Arjuna Devi hatte keine Hoffnung mehr. Die alte Frau, die in einem Fischerdorf nahe der südindischen Stadt Cuddalore lebte, setzte sich jeden Morgen einige Meter von ihrem Haus entfernt in den Sand. Dorthin, wo die Leichen ihrer Tochter und Enkelin gefunden worden waren. Oft saß sie da bis zum Einbruch der Dunkelheit, stumm und ohne das Essen anzurühren, das ihr Verwandte und Nachbarn hinstellten.
Jahrhundertkatastrophe
Als ich mit der abgemagerten Arjuna Devi vorsichtig zu sprechen versuchte, brach sie in Tränen aus. Es war einer dieser Momente, in denen der Begriff "Jahrhundertkatastrophe", als die der Tsunami in Südasien bezeichnet wurde, vor meinen Augen seine wahre schreckliche Bedeutung zeigte. Arjuna Devis Schicksal hat mich sehr berührt, ihr Gesicht sehe ich immer vor mir, wenn ich an meine Reportagereise 2004 zurückdenke.
Die Killerwellen hatten ganze Landstriche verwüstet, es sah aus wie nach einem Militärangriff, als ich nur wenige Tage später die Krisenregionen besuchte. Ich berichtete für die DW-Programme in Deutsch, Englisch, Hindi und Urdu und auch für die ARD. Ich reiste erst die Südostküste Indiens entlang, dann auf die Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren, die ja teilweise militärisches Sperrgebiet sind. Ich sprach mit Überlebenden wie Arjuna Devi, begleitete Helfer, die selbst fassungslos waren angesichts dieser neuen Dimension einer Katastrophe, und interviewte Politiker. Irgendwie mussten wir alle funktionieren in diesem Chaos: Der Tsunami hatte schätzungsweise allein in Indien 15.000 Menschen den Tod gebracht und hunderttausenden Menschen ihre Liebsten, ihr Hab und Gut und ihr altes Leben genommen.
Schrecken - und kleine Glücksmomente
Woran ich mich im Nachhinein aber auch erinnere, sind die kleinen Momente des Glücks: Direkt nach der Katastrophe besuchte ich eine Moschee, die - inmitten der Leichenberge und Hoffnungslosigkeit - zum Lichtblick für Muslime, Christen und Hindus wurde. Sie alle wurden liebevoll aufgenommen. Für eine kurze Zeit konnten Solidarität und Nächstenliebe alle Grenzen, die Religion, Kaste und Stand ziehen, überwinden.
Kurz nach dem Tsunami beschlossen die Deutsche Welthungerhilfe und die Stadt Bonn, die Stadt Cuddalore mit Spenden zu unterstützen. Allein dort hatten etwa 1000 Menschen den Tod gefunden. Als ich ein halbes Jahr später erneut in die Region reiste um zu sehen, wie der Wiederaufbau vonstatten ging, zeigte sich der damalige Bezirksverwalter von Cuddalore tief bewegt. Den Menschen in Cuddalore habe es unglaublich gut getan zu wissen, dass die Menschen in Bonn ihnen in der Stunde der Not zur Seite stehen, sagte er. Die Aktion "Bonn hilft Cuddalore" war ein großer Erfolg.
Auch die Anteilnahme unserer Zuschauer, Zuhörer und Internetnutzer am Schicksal der Menschen in Südindien war einfach überwältigend. Ich glaube, diese Katastrophe ließ niemanden gleichgültig.