Auch der Mensch richtet seine Ohren gezielt aus
7. Juli 2020Das leiseste Rascheln oder Knacken reicht - blitzschnell richten sich die Ohren etwa bei Hunden oder Katzen in Richtung des auffälligen Geräuschs. Auch einige Affenarten können ihre Ohren gezielt ausrichten.
Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass der Mensch diese Fähigkeit nie besaß oder im Laufe der Evolution vollständig verloren hat. Forschende der Universität des Saarlands haben jetzt eine Studie vorgelegt, wonach der Mensch die Ohren sehr wohl unbewusst in Richtung der auffälligen Geräusche wendet. Allerdings sind die Ohrbewegungen nur minimal und praktisch nicht zu erkennen.
Menschen können also tatsächlich "die Ohren spitzen"
Rund um das Ohr werden die Muskeln aktiv, sobald "neuartige, auffällige oder aufgabenrelevante Reize wahrgenommen werden", haben die Forschenden der"Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit" (SNNU) um Institutsleiter Prof. Daniel Strauss nachgewiesen. "Dabei spiegelt die elektrische Aktivität der Ohrmuskeln die Richtung wider, in die der Mensch seine Aufmerksamkeit beim Hören richtet", so der Neurowissenschafter und Informatiker.
Um die minimalen Ohrbewegungen nachzuweisen, haben die Forschenden mit Sensoren rund um das Ohr die elektrische Aktivität der Muskeln aufgezeichnet, die die Form der Ohrmuschel verändern oder sie bewegen, berichten die Forschenden von der Universität des Saarlandes im Fachjournal "eLife". Zusätzlich wurden die Testpersonen mit speziellen, hochauflösende Videoaufzeichnungen beobachtet.
25 Millionen Jahre altes "neurales Fossil"
Der Mensch habe wahrscheinlich ein Orientierungssystem beibehalten, das die Bewegung seiner Ohrmuscheln zu kontrollieren versucht, so Professor Daniel Strauss. Bei der jetzt entdeckten Fähigkeit handele es sich nach Ansicht des Neurowissenschaftlers um eine Art "neurales Fossil", das im Gehirn des Menschen seit etwa 25 Millionen Jahren fortbesteht.
Unklar bleibt allerdings, warum das Ausrichten der Ohren in der Primatenkette weitgehend verloren gegangen ist, so Strauss.
Zwei Arten von Aufmerksamkeit
Während die Testpersonen einen eintönigen Text lasen, wurden sie durch unbekannte Geräusche aus verschiedenen seitlichen Positionen überrascht. So konnten die Forschenden die "reflexive Aufmerksamkeit" testen, die automatisch durch unerwartete Geräusche auftritt.
Außerdem mussten die Testpersonen einer Kurzgeschichte zuhören, die sie von einer Seite vorgelesen bekamen. Gleichzeitig mussten sie eine "konkurrierende" Geschichte von der gegenüberliegenden Seite ignorieren. So wurde die "zielorientierte Aufmerksamkeit" getestet, wie sie beispielsweise beim aktiven Zuhören auftritt.
Beide Versuchsanordnungen zeigten, dass die Bewegungen der rudimentären Muskeln im menschlichen Ohr die Richtung der Geräusche anzeigen, auf die die Testpersonen achten.
Je nach Art des Reizes verzeichneten die Forschenden minimale, unterschiedliche Aufwärtsbewegungen des Ohres bzw. unterschiedlich starke Rückwärtsbewegungen der Seitenkante der Ohrmuschel.
Grundlage für zielgerichtetere Hörgeräte?
Die Ergebnisse des saarländischen Forscherteams sind aber nicht nur für die Evolutionsgeschichte oder für die Grundlagenforschung interessant. Sie lassen sich möglicherweise auch für die Entwicklung besserer Hörgeräte nutzen: "Diese könnten die Geräusche, die der Träger zu hören versucht, verstärken, während sie die Geräusche, die er zu ignorieren versucht, unterdrücken. Damit würde die Funktion der Geräte quasi der Hörintention des Nutzers folgen", so Prof. Strauss.
Ein neuartiges Hörgerät könnte in Millisekunden die elektrische Aktivität der Ohrmuskeln erfassen und so die Richtung bestimmen, auf die sich die Ohren auszurichten versuchen. Ein eingebauter Computer könnte dann die verbauten Richtmikrofone entsprechend gezielt verstärken und störende Nebengeräusche ausblenden.