Filmfestival für Cineasten
29. Januar 2018Auch auf dem 3. Hellas Filmbox-Festival in Berlin blieb das griechische Kino Dreh- und Angelpunkt der 32 dort gezeigten Filme. Hinzu kamen diesmal Konzerte von Jazz- und Swing-Musikern aus Athen und Diskussionsrunden mit deutschen und griechischen Künstlern, die "Box Talks". Mit diesen Gesprächsrunden habe man, so Geschäftsführer Asteris Koutoulas, einen wichtigen Schritt hin zu einem intensiven deutsch-griechischen Dialog getan.
Experimentelles Kino aus Griechenland
Die Auswahl auf dem Hellas Filmbox-Festivals der letzten Jahre war repräsentativ für die neueren und neuesten griechischen Filmproduktionen. Diesmal wurden in Berlin mehr griechische Filme präsentiert, „die in Deutschland unbekannt sind", erklärte die künstlerische Leiterin des Festivals, Ioanna Kryona. Man wolle kein „narratives sondern viel mehr ein experimentelles Kino zeigen. Eines, dass nach neuen Ausdrucksformen sucht." Diese Kriterien gelten vor allem für die einzige Wettbewerbssektion „New Vision", in der drei Lang- und 10 Kurzspielfilme gezeigt wurden.
Gewonnen hat den Preis Nikolas Pourliaros mit seinem Spielfilm „Time is up" - einer Art Videotagebuch. An einem Freitag kehrt Protagonist Hary nachhause zurück, setzt sich an seinem Schreibtisch und nimmt ein Video auf. Er kündigt an, dass er innerhalb der nächsten 48 Stunden Selbstmord begehen wird. Aus weiteren Videos, die er dreht, erfährt man, dass es sich um einen vereinsamten Menschen handelt, der jeden neuen Lebensabschnitt als eine weitere Ausweglosigkeit empfindet.
Nach Harys Tod ist die einzige Frage, die seinen Vater interessiert, ob er Schulden hinterlassen hat. Die Mutter wiederum ist froh, dass ihr schwuler Sohn nicht mehr „von Bett zu Bett wandern muss". Die Familienbande gelten in Griechenland als stärkster Kitt des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Im 10. Jahr der Wirtschaftskrise wird dieser Kitt allerdings porös.
Dokumentation der griechischen Krise
Die Dokumentarfilme, die in einer gesonderten Sektion gezeigt wurden, orientierten sich dem Genre gemäß näher an der Wirklichkeit und dem aktuellen Zeitgeschehen. Stand in den vergangenen Jahren die Wirtschaftskrise im Vordergrund, hat sich das Themenspektrum inzwischen deutlich erweitert. Die eingeladenen fast nur weiblichen Filmemacher interessieren sich für Musiker, erzählen Geschichten über weibliche Brüste, folgen drei älteren Marathonläufern, die keine Eile zeigen, das Rennen zu beenden, und gehen in ein Frauenkloster. Die Nonnen dort widmen sich nicht dem Gebet und Gott, sondern vornehmlich misshandelten und vernachlässigten Kindern.
Im Rahmen des Festivals wurde auch ein beeindruckendes Projekt vorgestellt, dass jetzt erst fertig gestellt wurde. Zwischen 2011 und 2016 war der Filmemacher Zafeiris Haitidis in ganz Griechenland unterwegs. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, die Krise aus dem Blickwinkel der Betroffenen zu zeigen. Mit seiner Kamera beobachtete er Demonstrationen, Wahlveranstaltungen, Ausschreitungen, Bauernproteste, Militärparaden, und das Geschehen in den Flüchtlingslagern. Dabei sah er sich nicht so sehr als Künstler, sondern als „aktiver Bürger", berichtete Haitidis in Berlin.
Das Ergebnis seiner Arbeit ist jetzt auf der Internetseite www.greekchroniclearchive.com zu sehen: Rund 2200 Videos mit einer Gesamtlänge von über 3000 Minuten. Die gerade freigeschaltete Seite soll als Plattform dienen, um die Jahre der Krise in Griechenland zu dokumentieren. Jeder könne dort Videos und Fotos einstellen und hochladen.
Auf einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen von Hellas Filmbox Berlin unterhielten sich Zafeiris Haitidis und der bekannte deutsche Liedermacher Konstantin Wecker über die Möglichkeiten der Kunst, Einfluss auf das gesellschaftliche und politische Geschehen zu nehmen. Die etwas nüchterne vielleicht auch hilflose Antwort brachte Wecker auf den Punkt: „Poesie ist Widerstand".
Von Schlöndorff bis Zypern
In einer Gesprächsrunde diskutierten Oscarpreisträger Volker Schlöndorff und der griechische Regisseur Giannis Sakaridis über Kino und Filmemachen. Schlöndorff outete sich als Gegner der Synchronisierung ausländischer Filme, wie das in Deutschland üblich ist. Dadurch würden Unterschiede und kulturelle Identitäten verschwinden. Dass in Griechenland ausländische Filme mit Untertiteln gezeigt und nicht synchronisiert werden, sei keine Frage der Überzeugung, bemerkte Sakaridis. Es fehle ganz einfach das Geld dafür.
Wie es um denn den griechischen Film stehe, wollte Schlöndorff wissen, ob die Menschen noch ins Kino gehen und vor allem: Wie bringe man es fertig, in einem krisengeschüttelten Land Filme zu drehen? Dass gehe nur, antwortete Sakaridis, weil sich die Filmemacher gegenseitig bei Dreharbeiten helfen würden – unentgeltlich.
In einer Hommage an das zyprische Kino wurden auch sechs Produktionen griechisch-zyprischer Filmemacher aus den letzten 20 Jahren gezeigt. Bezugspunkt der meisten Filme ist Flucht und Vertreibung nach der Invasion türkischer Truppen 1974 und die traumatischen Erfahrungen der Vertreibung und des Flüchtlingsdaseins.
Eine starke Rolle spielt in den zyprischen Filmen derzeit die Frage von Identität. Eindrucksvoll setzt sich damit Regisseur Elias Demetriou in „Fish'n Chips" auseinander. Ein in London aufgewachsener vermeintlich griechischer Zyprer kehrt nach Zypern zurück. In einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem Bruder wird zum ersten Mal offen ausgesprochen, was beide eigentlich seit Jahren wissen, dass nämlich ihr Vater ein türkischer Zypriote ist. Wie sollen sie damit umgehen? Der eine wird weiterhin schweigen, der andere kehrt nach London zurück.