Whistleblower brauchen Schutz
9. Oktober 2015Im Volkswagen-Konzern habe es einen internen Hinweis auf manipulierte Abgaswerte gegeben, doch er wurde wohl blockiert, sagt Johannes Ludwig. Er ist emeritierter Professor und im Vorstand des Whistleblower-Netzwerks, einem Verein, der sich für jene einsetzt, die durch ihre Hinweise Skandale ans Licht bringen. "VW hat eine ziemlich hierarchische Struktur, in der ein Klima der Angst herrscht", sagt der Wirtschaftswissenschaftler und erinnert an den Fall Holger Sprenger, der im VW-Werk Kassel beschäftigt war.
Jahrelang habe der Mechaniker-Meister seine Vorgesetzten, die Revisionsabteilung und selbst den Vorstand auf Betrug im Unternehmen, Zweckentfremdung von Projektmitteln, Unregelmäßigkeiten bei Spesenabrechnungen und weitere Missstände aufmerksam gemacht - vergeblich. Als sich Sprenger schließlich 2003 an die Aktionäre und den Aufsichtsrat wandte, wurde er gekündigt.
Whistleblower, die illegale Praktiken aufdecken, gehen hohe Risiken ein. "Meist sind sie weit unten in der Hierarchie angesiedelt", sagt Ludwig. Zwar sind Mitarbeiter in vielen Aktiengesellschaften verpflichtet, Regelverstöße dem Vorgesetzten, der internen Revision oder den Wirtschaftsprüfern zu melden. Oft aber werden sie als "Nestbeschmutzer" gemieden: Mobbing, der Karriereknick, sogar die Kündigung können die Folgen sein.
"In der deutschen Wirtschaft gibt es weder eine ausgeprägte Kritik- noch eine Fehlerkultur", so Ludwig. Anders sei es in den USA, wo der Hinweis als Chance verstanden werde, einen Missstand zu beheben - eine Haltung, die auch dadurch zu erklären sei, dass Regelverstöße dort zu gewaltigen Schadenersatzzahlungen führen können.
Kulturwandel und Rechtsschutz
Wenn Vorgesetzte und Kollegen ethisch handeln, steigt in Firmen die Bereitschaft, Fehltritte zu melden, zitiert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Management-Studien. Das Whistleblower-Netzwerk setzt sich für einen Kulturwandel und einen gesetzlichen Schutz der Enthüller ein. Gestärkt werden soll ihr Recht, sich an Behörden oder Medien zu wenden, wenn der interne Weg nicht fruchtet.
Immerhin hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden: "Das Offenlegen von Missständen ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt." Verhandelt wurde 2011 der Fall der deutschen Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die die unmenschlichen Zustände in ihrem Heim kritisiert hatte.
In der Öffentlichkeit werden Whistleblower oft als Helden gefeiert. Trotzdem wollen viele lieber unbekannt bleiben. Verschiedene Systeme ermöglichen Hinweisgebern deshalb anonyme Tipps.
Eine Zeit lang hatten sich Telefon-Hotlines bewährt. In einigen Fällen wurde jedoch versucht, den anonymen Anrufer per Spracherkennung zu identifizieren, was den Ruf der Hotlines beschädigte. Einige Firmen beschäftigen externe Vertrauenspersonen, sogenannte Ombudsleute. Auch hier ist die Hemmschwelle hoch, weil kein anonymer Kontakt möglich ist.
Mehrere Großunternehmen, Behörden und Landeskriminalämter setzen auf eine private Softwarelösung mit Web-Portal, das Business Keeper Monitoring System (BKMS): Es filtert die anonymen Hinweise und leitet sie an bestimmte Kontrollinstanzen weiter.
Ein elektronischer toter Briefkasten
Der Informant muss dabei detailliert darlegen, welche Organisationen, Abteilungen und Projekte betroffen sind. Der Aufwand soll verhindern, dass sich Mitarbeiter nur aus einer Laune heraus melden. Das System speichert keine IP-Adressen.
Der Tippgeber kann einen elektronischen toten Briefkasten anlegen, zu dem nur er Zugang hat. So ist er für zusätzliche Fragen erreichbar, ohne seine Identität preiszugeben. Dennoch bietet die Anonymität keine vollständige Sicherheit: Manche Vorgänge im Unternehmen sind schließlich nur einem kleinen Personenkreis bekannt.
Mit dem BKMS arbeitet auch das Bundeskartellamt, eine Behörde zum Schutz des Wettbewerbs, die auch gegen illegale Preisabsprachen zwischen Unternehmen vorgeht: "Da Kartelle meist im Geheimen praktiziert werden, kommt Insiderwissen bei ihrer Aufdeckung und Zerschlagung eine entscheidende Bedeutung zu", sagt Andreas Mundt, Präsident des Kartellamts.
Innerhalb von drei Jahren habe es in der Behörde 996 Hinweise "mit einer gewissen Relevanz" gegeben. In der Mehrheit der Fälle war der Informant bereit, mit den Ermittlern über einen toten elektronischen Briefkasten zu kommunizieren.
Zwar gebe es auch viele Meldungen, die qualitativ wenig wertvoll seien. Aber schon die Möglichkeit anonymer Eingaben fördere die Destabilisierung der Kartelle, weil die Gefahr der Aufdeckung höher sei, so die Behörde.
Zurzeit laufen mehrere Ermittlungen auf Basis der anonymen Hinweise. "Vor Einleitung eines Verfahrens vergewissert sich das Bundeskartellamt zunächst, ob die Angaben eine entsprechende sachliche Qualität haben, ausreichend detailliert sind, von schlüssigem Tatsachenmaterial begleitet oder durch weitere behördliche Recherchen bestätigt werden können", sagt Mundt.
Das erste Verfahren mit BKMS-Einsatz wurde im Juni abgeschlossen: Gegen fünf Hersteller von "akustisch wirksamen Bauteilen" wurden wegen Absprachen zu Lasten der Autoindustrie Bußgelder in Höhe von insgesamt rund 75 Millionen Euro verhängt.