EU will Italien disziplinieren
21. November 2018"Die schreiben unserer Regierung alle 15 Minuten irgendwelche Briefe. Das sind doch alles nur kritzelnde Bürokraten", machte sich der italienische Innenminister und Parteiführer der Rechtsradikalen, Matteo Salvini, kürzlich über die EU in einer Fernseh-Show lustig. "Jetzt warte ich auf einen Brief vom Weihnachtsmann", legte Salvini heute nach, nachdem die EU-Kommission ein Defizitverfahren eingeleitet hat. Sein Koalitionspartner von der populistischen "Bewegung 5 Sterne", Wirtschaftsminister Luigi Di Maio, sagte in Rom, höhere Schulden in Italien seien notwendig, um europäische Probleme zu lösen. Die italienische Regierung ist der Auffassung, dass es an der Fiskalpolitik der EU liegt, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Italien in den letzten Jahren eher bescheiden ausfiel und die Schulden immer weiter wuchsen - inzwischen auf 131 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Von Brüssel werde man sich nicht weiter bevormunden lassen, ist die Devise in Rom.
"Logische Konsequenz"
Ein Machtkampf mit der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten der Euro-Zone scheint programmiert, denn die EU wird nicht locker lassen. Der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis leitete jetzt in Brüssel ein "Defizit-Verfahren" gegen Italien ein, weil die Gesamtschulden mit dem Budgetplan 2019 noch weiter steigen würden, statt langsam zu sinken, wie das mit der Vorgängerregierung vereinbart worden war. "Leider verstößt Italien fundamental gegen alle Kriterien, was ein Defizitverfahren notwendig macht", sagte Dombrovskis. "Wir sind zum Dialog bereit." Die Zweifel an den italienischen Annahmen zum Wachstum blieben bestehen, sagte Währungskommissar Pierre Moscovici. "Wer soll am Ende die Rechnung bezahlen? Auf diese Frage haben wir keine Antwort bekommen." Es sei ganz logisch und unabweisbar, dass die EU-Kommission auf Italiens Haushaltsentwurf nicht anders reagieren könne, so Moscovici.
Für Haushaltsauflagen wird noch die Zustimmung der übrigen 18 Euro-Staaten gebraucht. Zur Erfüllung der Auflagen werden Italien drei bis sechs Monate Zeit eingeräumt. Erst danach könnte die EU-Kommission empfindliche Geldstrafen verhängen oder die Auszahlung von EU-Mitteln an Rom streichen. Bislang musste die Kommission noch nie zu diesem drastischen Mittel greifen.
"Italien riskiert seinen Wohlstand"
Die nationalistisch-populistische Regierung in Rom will mit höheren Schulden, neue Sozialleistungen finanzieren, das Rentenalter und die Steuern senken sowie Investitionen auslösen. Dies werde, so die Rechnung von Italiens Finanzminister Giuseppe Tria, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und am Ende zu einem Sinken der Schulden führen. Die Experten in der EU-Kommission und auch die Finanzminister in der Währungsgemeinschaft sehen das anders. Die Annahmen der Italiener seien viel zu optimistisch. Die höheren Defizite und die steigenden Kosten für die Schulden würden die ohnehin schwachen italienischen Banken in die Krise treiben, kritisiert EU-Kommissiar Dombrovskis. Am Ende könnte der italienische Staat zahlungsunfähig werden. Schon jetzt zahle jeder Italiener 1000 Euro Zinsen pro Jahr für die Altschulden des Staates. "Die Regierung riskiert den Wohlstand der Italiener", sagte Dombrovskis.
Die EU-Kommission pocht deshalb darauf, dass sich die Populisten in Rom an die Regeln halten und ihre Haushaltszahlen korrigieren. Doch das werde nicht geschehen, hat Wirtschaftsminister Di Maio erneut verkündet. Man könne reden, aber die Grundpfeiler des Haushalts würden nicht verändert. Das Defizit-Verfahren, das die Kommission ausgelöst hat, ist komplex und erfordert eine ganze Reihe von Beratungsschritten und Beschlüssen durch die 18 übrigen Mitgliedsstaaten der Euro-Zone. In einigen Wochen wird die EU Italien konkrete Maßnahmen und Einsparungen auftragen, die in drei bis sechs Monaten zu ergreifen wären. Sollte Rom diese ignorieren, könnte am Ende des Verfahren saftige Geldstrafen stehen, die schnell Milliardenhöhe erreichen können.
Kosten für Schulden könnten steigen
Ökonomen warnen jedoch, dass die internationalen Geldgeber Italiens so viel Geduld nicht haben werden und die Kosten für italienische Schulden schnell ansteigen werden, was wiederum zu einer immensen Belastung des Haushalts führt. Der Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen hat sich seit Amtsantritt der "5-Sterne-Lega"-Koalition im Juni bereits verdoppelt. Tendenz weiter steigend. Zurzeit liegt der sogeannte "spread" bei 330 Punkten. Ab einer Marke von 400 würde es kritisch, hat selbst der Lega-Chef Salvini vor einigen Wochen eingeräumt. Vertreter der populistischen Koalition hatten immer wieder davon gesprochen, dass der italienische Staat eine "parallele Währung" einführen könnte, um seine Rechnungen zu bezahlen und Steuern einzunehmen. Dieses eigenmächtige Geld drucken wäre nach den Regeln der Euro-Zone allerdings verboten.
Parallele Währung?
Der Ökonom Alessio Terzi vom Brüsseler Forschungsinstitut "Bruegel" sagte der DW, er sehe zwei Optionen: "Das beste Szenario wäre noch, dass die Regierenden in Rom einfach keine Ahnung haben, was sie da eigentlich machen. Das schlechteste Szenario ist, dass sie eine Krise provozieren wollen, die am Ende zur Einführung einer Zweitwährung in Italien und zum plötzlichen Austritt aus der Euro-Zone führt." Die Italiener würden einen großen Teil ihrer Ersparnisse verlieren. Die Wirtschaftsleistung würde einbrechen.
Weniger drastische Szenarien macht das amerikanische Peterson Institut für Internationale Wirtschaft aus. Seine Experten schreiben in einer aktuellen Analyse, dass die Märkte noch etwas Geduld mit Italien haben werden. Sollte das Wirtschaftswachstum nicht durch externe Schocks einbrechen, dürften sich die Kosten für die Schulden noch im Rahmen halten lassen. "Eine Krise ist nicht zwangsläufige Folge des Streits zwischen EU und Italien."
Lieber verhandeln
"Italien kann sich eine zweite Rezession nicht erlauben", sagte der spanische Außenminister Josep Borrell in einem Interview mit der Internetplattform Politico in Brüssel. "Ich hoffe die italienische Regierung und die EU-Kommission werden ihre gegenseitigen Vorwürfe herunterfahren und zu einer Vereinbarung nach dem Muster von Portugal kommen." Portugal hatte nach Jahren der Sparmaßnahmen mit der EU-Kommission ein Konjukturprogramm vereinbart und ist inzwischen nicht mehr von den Rettungsfonds der EU abhängig. Borrell warnte auch, mit Italien könne man nicht so umgehen wie mit Griechenland, das die EU gegen drakonische Auflagen vor der Pleite bewahrt hatte. Griechenland war acht Jahre lang von Krediten der Euro-Rettungsschirme abhängig und sitzt nun auf dem relativ größten Schuldenberg aller Euro-Staaten.