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Haus und Hof stehen auf dem Spiel

Birgit Augustin4. Februar 2009

Lettland ist nach Jahren des Wachstums in eine tiefe Rezession gerutscht. Seit einigen Wochen demonstrieren die Menschen dort gegen den Kurs der Regierung, die sie für unfähig halten, die Krise zu meistern.

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Lettische Bauern verteilen umsonst Milch aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung
Lettische Bauern verteilen aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik umsonst MilchBild: AP

Mit seinen weißen Haaren und der Schiebermütze auf dem Kopf sieht Janis Simsons wie ein netter älterer Herr aus, den so leicht nichts aus der Ruhe bringt. Doch der 70-Jährige ist wütend. So wütend, dass er auf die Straße geht.

Die lettische Regierung versage angesichts der Wirtschaftskrise völlig, erklärt er. "Wir wollten ihnen mit unserer Demonstration zeigen, wie verzweifelt wir hier auf dem Land sind. Damit sie verstehen, dass wir in einer hoffnungslosen Lage sind." Sie hätten keine andere Wahl, als an jeder weiteren Protestaktion teilzunehmen, wenn sie überleben wollten.

Ein Hof auf Pump

Janis Simsons Hof liegt anderthalb Autostunden von Riga entfernt. Er hat 50 Milchkühe und 120 Hektar Land. Die automatische Fütterungsmaschine, die alle zwei Stunden durch den Stall rotiert und den Kühen ihr Heu zuteilt, hat er auf Pump gekauft. Auch die Traktoren gehören noch weitgehend der Bank.

Bis vor kurzem fehlten Arbeitskräfte in der lettischen Landwirtschaft und Automatisierung schien das Gebot der Stunde. "Die ganze Zeit hat die Regierung gesagt, die einheimische Milchproduktion sei wichtig und wir sollen Kredite aufnehmen, um unsere Höfe zu modernisieren", sagt Simson. Sein Hof habe sich dann gut entwickelt, er habe viele Maschinen gekauft.

Das Geld fehlt an allen Enden

Bauernhof in Altusried in Bayern
Viele der Bauern bangen um ihre HöfeBild: Illuscope

Doch jetzt fallen die Milchpreise. Bauer Simsons kann seine Kredite nicht zurückzahlen und auch für das Kraftfutter ist kein Geld mehr da. Die letzten Rechnungen des Tierarztes hat er einfach ignoriert. Und seinen zwei Arbeitern bezahlt er nur noch 1,50 Euro die Stunde. Doch trotz allem reicht es hinten und vorne nicht.

Jetzt sucht der 70-Jährige einen ausländischen Investor, der seinen Hof für einen symbolischen Preis von umgerechnet nicht einmal drei Euro kaufen will – mitsamt der Schulden, versteht sich. Und Simsons fordert, dass die Regierung einen Teil des Milliardenkredites, den sie jüngst vom Internationalen Währungsfonds erhalten hat, an die Bauern weiterreicht – als Kompensation für den geringen Milchpreis. "Denn bei einem Milchpreis von 16 Cent für den Liter können wir nicht überleben", sagt er.

Die Regierung soll gehen

Lettland steckt tief in der Rezession. Minus sieben Prozent – so lautet die deprimierende Wachstumsprognose für dieses Jahr. Die Regierung hat bereits die Löhne ihrer Angestellten gekürzt, die Steuern erhöht und die Sozialabgaben zusammengestrichen. Doch viele in Lettland halten Premierminister Ivars Godamnis für korrupt und völlig unfähig, die Krise zu bewältigen. Der Ruf nach Neuwahlen wird immer lauter.

Beschädigte Autos nach einer Protestkundgebung gegen die lettische Regierung in Riga am 13.03.09
Die Demonstranten in Riga machten ihrem Unmut LuftBild: AP

Auch Bauer Simsons wäre es am liebsten, das Parlament würde sich auflösen und die Regierung nach Hause geschickt. Deshalb war er, der sonst nie auf die Straße geht, bei der friedlichen Großkundgebung in Riga dabei. Dass anschließend Steine flogen und Polizeiwagen demoliert wurden, hat er erst aus dem Fernsehen erfahren. Er ist gegen Gewalt, aber auch ihm reißt jetzt der Geduldsfaden. "Wir werden unsere Interessen aktiver vertreten müssen, es gibt keine andere Lösung. Wir müssen die Straßen blockieren, damit sie verstehen, dass wir in einer ausweglosen Situation sind. Oder sie müssen uns alle ins Gefängnis sperren", sagt er.

Die Wirtschaft im Niedergang und die eigene Bevölkerung auf den Barrikaden – Lettlands Regierung muss sich auf ein hartes Jahr einstellen.