Haus der Drei Welten in Nicaragua
4. Juli 2021Nur wenige Schritte von der Kathedrale entfernt steht das massive Eingangsportal aus hellem Sandstein. Die Casa de los Tres Mundos ist heute eines der ältesten und prächtigsten Herrenhäuser im Zentrum Granadas, der drittgrößten Stadt Nicaraguas. Vor 300 Jahren wurde es als Casa de los Leones, als Haus der Löwen, erbaut: eine zweistöckige Residenz im klassisch-spanischen Kolonialstil.
Es wird noch heute von zwei Löwenfiguren bewacht, die von je zwei Säulen über dem Spitzbogen auf die Besucher herabblicken, die im Kulturzentrum ein- und ausgehen. Im großen Innenhof hängen Ölbilder lokaler Maler im Schatten der umlaufenden Arkadengänge. Ein zweiter, kleinerer Hof schließt daran an, in dessen Mitte ein Brunnen von einem riesigen Mangobaum überwölbt wird. Ein Ort der Frische gegen die unbarmherzige Hitze draußen.
Der Schauspieler und der Dichter
1988 wurde das Kulturprojekt zusammen vom nicaraguanischen Dichter und Priester Ernesto Cardenal und dem österreichischen Showmaster und Schauspieler Dietmar Schönherr gegründet: Stiftung nennt sich Fundación Casa de los Tres Mundos. Schönherr wurde Präsident, Cardenal Vizepräsident.
Über drei Dekaden später und sieben Jahre nach dem Tod des Gründers versteht sich das Haus der Drei Welten als Verbindungsglied für Kulturschaffende aus Europa und Mittelamerika - und widmet sich heute vor allem der Jugendarbeit in der Region.
Vom Künstlertreff zum Jugendzentrum
Die Casa de los Tres Mundos, das Haus der drei Welten, habe eine interessante Entwicklung durchgemacht, sagt Johannes Kranz. Der 48-jährige Österreicher ist einer von zwei Direktoren. Anfangs habe der Fokus auf einem Begegnungszentrum gelegen, das internationale Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller und Musiker zusammenbringen sollte zu einer Vision des neuen, revolutionären Menschen. Mit den Jahren sei das Haus der drei Welten mehr und mehr zu einer Ausbildungsstätte geworden, erklärt Dieter Stadler im Interview. Der Politikwissenschaftler leitet seit Beginn die Casa de los Tres Mundos.
Anfang der 2000er-Jahre rückte die Jugendarbeit immer mehr ins Zentrum, da in Nicaragua Bildungs- und Kulturbudgets unter der damaligen Regierung stark beschnitten wurden. Heute steht die Musikschule im Fokus. Täglich schallen von den Räumen im Obergeschoss die Klänge unterschiedlichster Instrumente hinab in den Patio. Nach den Übungsstunden füllen sie die Gänge mit dem Geplauder und Lachen Dutzender Kinder, die hinaus ins Freie strömen. Auch für Bildende Kunst und Theater gibt es Kurse. Der edukative Aspekt, sagen die beiden Leiter, sei immer mehr in den Vordergrund gerückt.
Da das Curriculum des staatlichen Schulsystems in Nicaragua kaum künstlerische Ausbildung vorsehe, sei man in dieses Vakuum vorgestoßen. Die Casa de los Tres Mundos biete der Jugend Granadas und Umgebung auch ein Podium für Poesie und kreatives Schreiben an. Dazu kommt ein eigener Radiosender, Radio Volcán, das Vulkanradio.
Täglich von 7 bis 21 Uhr geht dessen Programm auf Sendung, es wird von Bürgern frei gestaltet. Die Casa de los Tres Mundos stellt die Technik zur Verfügung. Es gibt Beiträge über Religion und Haushaltsfragen, Sport und Popmusik für die Jugend Granadas. Anrufer können sich in die Sendungen zuschalten. Außerdem hätten sich, sagt Johannes Kranz, Kooperationen mit anderen zentralamerikanischen Ländern ergeben, z.B. bei der Produktion von Handyvideos.
Ohne Unterstützer aus Europa gingen die Lichter aus
Schon zu Beginn wurde im fernen Europa eine Partnerorganistion gegründet: Pan y Arte - Brot und Kunst. Sie brachte in Deutschland, Österreich und der Schweiz Freunde und Unterstützer zusammen. Die Stiftung kanalisiert bis heute die Spenden, die die gesamte Arbeit der Casa de los Tres Mundos auch drei Jahrzehnte später noch ermöglichen. Obwohl das Jahresbudget nur 250.000 Dollar beträgt, wären ohne den Verein Pan y Arte in Österreich und Deutschland, versichern Stadler und Kranz, in der Casa de los Tres Mundos längst die Lichter ausgegangen.
Refugium während der landesweiten Unruhen 2018
Während der Proteste gegen die Rentenkürzung von Mai bis August 2018, die das Ortega-Regime niederknüppeln und zusammenschießen ließ, gab es auch Kampfhandlungen in Granada. Das sei, sagen Stadler und Kranz, besonders traumatisch für die Kinder in der Stadt gewesen. Da es aber auf das Kulturzentrum selbst keine Übergriffe gab, habe sich das Haus der Drei Welten als sicherer Ort verstanden. Die Kurse wurden weiterhin angeboten. Den Kindern sei so für ein paar Stunden ein Refugium vor dem Straßenkampf geboten worden.
So bleibt die Casa de los Tres Mundos in Granada auch gut dreißig Jahre nach ihrer Gründung ein sich stets weiter entwickelndes, sich stets neu erfindendes Kulturprojekt in einem politisch prekären Umfeld. Ein Hort für Aufbruch und Kontinuität gleichermaßen - ein Bild, das den Gründern Dietmar Schönherr und Ernesto Cardenal sicher gefallen hätte.