"Gutachten ist ein Damoklesschwert"
18. November 2014DW: Ein Gutachter attestiert Cornelius Gurlitt "paranoide Wahnideen". Er habe zudem unter einer "schizoiden Persönlichkeitsstörung" gelitten. Herr Hartung, Sie waren damals einer von Cornelius Gurlitts Anwälten. War er Ihrer Meinung nach am 9. Januar 2014 in der Lage, sein Testament zu verfassen?
Hannes Hartung: Man muss grundsätzlich wissen, dass die Testierfreiheit eines Erblassers ein ganz hohes Gut ist. Das heißt, das Gesetz geht immer grundsätzlich von Testierfähigkeit aus. Eine Testierunfähigkeit liegt vor bei schwerer Demenz, bei schwerer Intelligenzminderung. Es muss also die Frage beantwortet werden, ob ein Erblasser imstande war, die Tragweite seiner Erklärung zu erfassen und davon gehe ich bei Cornelius Gurlitt mit Sicherheit aus. Meiner Meinung nach war er auf jeden Fall testierfähig. Posthum finde ich es äußerst unfair, dass über sein Seelenleben und seine Ängste jetzt so diskutiert wird. Ich weiß auch gar nicht, wer dieses Gutachten überhaupt lanciert hat.
Im Gutachten steht, Cornelius Gulitt sei von Ängsten getrieben und fühle sich von den Nazis verfolgt. Wie entscheidend ist das für seine Testierfähigkeit?
Es ist entscheidend, dass solche psychiatrischen Aspekte - so sie überhaupt vorgelegen haben, was ich aber nicht beurteilen kann – bei der Errichtung des Testaments da waren. Ich habe Cornelius Gurlitt kurz zuvor getroffen und meines Erachtens konnte er am Tag der Testamentserrichtung die Tragweite seiner Willenserklärungen ermessen. Wegen meiner Verschwiegenheitspflicht kann ich mich jetzt aber nicht in allen Details äußern. Das werde ich gegenüber dem Nachlassgericht tun, wenn ich dort als Zeuge befragt werden sollte. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich schwere Zweifel daran habe, dass Cornelius Gurlitt testierunfähig gewesen sein soll. Er hat sein Testament aus freiem Willen gemacht, ohne Beeinflussung Dritter.
Wissen Sie, eine Testierunfähigkeit ist ein Damoklesschwert über einem Testament. Meine Meinung sage ich noch einmal mit Nachdruck: Ich gehe nicht von einer Testierunfähigkeit aus. Ich bin kein Psychiater, aber ich bin Jurist und als Jurist muss ich entscheiden, ob ein Erblasser imstande ist, die Tragweite seiner Erklärung zu überblicken. Ich habe keine Anhaltspunkte dafür, dass das bei Cornelius Gurlitt nicht der Fall war.
Wie haben Sie die Nachricht über das Gutachten, das Zweifel am Testament von Cornelius Gurlitt hegt, wahrgenommen?
Dass es solche Gutachten gibt, ist nicht außergewöhnlich. Immerhin geht es hier um eine beträchtliche Erbschaft und ich kann auch sehr gut nachvollziehen, dass die Verwandten von Cornelius Gurlitt sehr verärgert sind über die öffentlichen Äußerungen, die über die Familie getätigt wurden. Unglücklich ist sicherlich, wenn von staatlichen Repräsentanten gesagt wird, es wäre ein Glücksfall, wenn das Erbe an das Kunstmuseum Bern gehe. Im Umkehrschluss also eine Katastrophe, wenn es in der Familie bleibt - das ist natürlich schon ein harter Tobak. Da kann ich gut nachvollziehen, dass Uta Werner hier mehr als irritiert war über diese Äußerungen.
Uta Werner ist die Cousine von Cornelius Gurlitt. Sie und ein anderer Teil der Familie werden durch den Juristen Wolfgang Seybold vertreten - er hatte nach Medieninformationen das Gutachten in Auftrag gegeben. Die Familie Gurlitt wolle aber weder einen Erbschein beantragen noch das Erbe anfechten, heißt es, sondern sei nur an der Wahrheit interessiert…
Das ist doch legitim. Ich meine, dass man als Verwandte dritten Grades die Wahrheit wissen will. Es wäre allerdings total untypisch, das muss man schon sagen, mit einem großen Aufwand einen hochrenommierten Gutachter - der natürlich auch nur aus der Ferne dieses Gutachten erstellt hat und Herrn Gurlitt nie persönlich untersucht hat - hier eine Testierunfähigkeit festzustellen und danach nicht weiter handeln zu wollen. Ich glaube, dass die Verwandten schon rechtliche oder gar finanzielle Forderungen haben. Denn ihr Anwalt gab jetzt an, mit dem Museum sprechen zu wollen. Das klingt doch schon sehr danach.
Ist so ein Gutachten von Verwandten typisch, wenn es um ein Erbe mit viel Geld oder in diesem Fall eben Kunstschätzen geht?
Absolut typisch, bei übergangenen Erben und in diesem besonderen Fall ein Gutachten zu beauftragen bei einem Erblasser, der in der Weltöffentlichkeit schon als Eigenbrötler präsentiert wurde... Ich bin kein Psychiater, ich kann nur sagen, man sollte äußerst vorsichtig sein, Testierunfähigkeit anzunehmen. Die Rechtsprechung macht das auch nicht: Sie sagt, selbst wenn der Erblasser einen lichten Moment hat, reicht das für seine Testierfähigkeit aus. Denken Sie noch einmal zurück wie Cornelius Gurlitt von der Staatsanwaltschaft Augsburg und vom Freistaat Bayern behandelt wurde. Er war Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren und das sind keine Wahnvorstellungen. Das sind ganz normale nachvollziehbare Gründe, dass er dann in seinem Testament festhielt, ich bedenke nicht den Freistaat Bayern als Erbe, sondern, ich möchte, dass meine Kunstsammlung in die Schweiz geht, in ein Land und in eine Region, an die ich gute Erinnerungen habe. Das ist doch sein gutes Recht und es ist zudem auch nachgewiesen, dass Herr Gurlitt sich immer wieder in Bern aufgehalten hat und sich dort auch offenbar sehr wohl gefühlt hat.
Am 26. November 2014 will das Kunstmuseum in Bern bekannt geben, ob es das Erbe von Cornelius Gurlitt antritt oder nicht. Wie geht es dann weiter?
Das Kunstmuseum Bern, so es die Erbschaft annehmen will, wäre sehr gut beraten, einen Erbschein zu beantragen und auch die Testierfähigkeit von Cornelius Gurlitt feststellen zu lassen, weil ansonsten ist das ein Damoklesschwert, das ständig über der Erbschaft hängt. Es wäre sehr zu empfehlen, hier eine Rechtsklarheit zu schaffen. Diese kann aber auch schon durch das Nachlassgericht geschehen, das sich einfach die Gutachten anschaut und sagt, ich habe hier das Gutachten der Verwandten und ich habe hier aber auch Stellungnahmen der behandelnden Ärzte. Und wenn dann der damals behandelnde Neurologe - was jetzt schon gesagt wurde – sagt, er hielt ihn für testierfähig, dann ist das ein ganz starkes Indiz dafür, dass meine juristische Haltung auch medizinisch betätigt wird.
Ist Ihrer Meinung nach die Schweiz und damit das Kunstmuseum in Bern als Erbe für die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt eine gute Lösung?
Da muss man jetzt abwarten, wie sich das Museum entscheidet und wenn es sich dafür entscheiden wird, was dann getan wird. Ich bin persönlich sehr unglücklich darüber, dass sich der Schwabinger Kunstfund nicht ganz in Wohlgefallen aufgelöst hat. Ich bin auch unglücklich darüber, dass zu Lebzeiten von Cornelius Gurlitt keine Restitutionen und keine vollständige Versöhnung stattgefunden haben. Und ich bin auch unglücklich darüber, dass immer noch etwas an ihm hängen bleibt und immer noch Assoziationen mit Cornelius Gurlitt verbunden sind, die sagen, er habe eine riesen Raubkunstsammlung gehabt. Darüber bin ich nach wie vor nicht glücklich. Ich hoffe nun, dass sein letzter Wille in Erfüllung geht und seine Kunstsammlung nach Bern kommt.
Dr. Hannes Hartung war als Anwalt von Cornelius Gurlitt für die Verhandlungen und Gespräche mit den Anspruchstellern auf Werke seiner Kunstsammlung zuständig. Er wurde jedoch Ende März 2014 nach Differenzen mit Gurlitts ehemaligem Betreuer, Christoph Edel, von seinem Mandat entbunden.
Das Interview führte Annika Zeitler.