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Politik

Harter Brexit Ende März abgewendet

22. März 2019

Eigentlich sollte Großbritannien schon in einer Woche die EU verlassen, mit oder ohne Vertrag. Jetzt gibt es zwei Aufschubmöglichkeiten. Christoph Hasselbach berichtet aus Brüssel.

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EU-Gipfel Brexit in Brüssel | Theresa May
Bild: AFP/E. Dunand

Ein Aufatmen geht durch die Reihen beim EU-Gipfel in Brüssel: Einen ungeregelten Ausstieg Großbritanniens schon in einer Woche wird es nicht geben. London bekommt einen Aufschub, allerdings nur einen kleinen. Premierministerin Theresa May hatte ursprünglich eine Frist bis Ende Juni beantragt. Der fand aber keine Mehrheit, weil Ende Mai Europawahlen stattfinden und Großbritannien dann aus rechtlichen Gründen wohl noch hätte teilnehmen müssen. Für einen Ausstiegskandidaten wäre das "absurd" gewesen, wie Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte.

Nach vorläufigen Gipfelbeschlüssen gibt es nun zwei Möglichkeiten: Bekommt May den von ihr ausgehandelten Austrittsvertrag kommende Woche durchs Parlament, wird der Brexit bis zum 22. Mai aufgeschoben, das ist unmittelbar vor den Europawahlen. Das wäre die Zeit, die zur Ratifizierung gebraucht würde. Stimmt das Unterhaus aber kommende Woche erneut gegen den Vertrag, muss die britische Regierung bis zum 12. April sagen, wie sie weiter vorgehen will. Wenn das Land an der Europawahl teilnehmen will, kommt ein weiterer Aufschub infrage. Ansonsten tritt dann ein ungeregelter Brexit in Kraft. Ratspräsident Donald Tusk zufolge hat May diesem doppelten Angebot zugestimmt.

EU-Gipfel Brexit Brüssel
Merkel will den Briten weit entgegenkommen, aber auch europäische Interessen wahrenBild: picture alliance/AP Photo/O. Matthys

Die Chancen sind eher noch gesunken

Einen harten Brexit wollen weder May noch die übrigen EU-Regierungen. Aber die Chance, dass die britische Premierministerin "ihren" Vertrag nach zwei Abstimmungsniederlagen nächste Woche doch noch durchs Parlament bekommt, stehen nicht besonders gut. In ihrer öffentlichen Rede am Mittwochabend hatte May das Parlament beschuldigt, einen geordneten Brexit aufzuhalten, den das britische Volk schließlich wolle – und damit viele Abgeordnete vor den Kopf gestoßen, von deren Zustimmung sie abhängt.

Möglich wäre auch, dass May bei einer weiteren Niederlage zurücktritt. Wie es dann weiterginge, hinge von ihrem Nachfolger ab. Hardliner wie Boris Johnson stehen schon bereit. Er legt es auf einen harten Brexit geradezu an. Ein Ausweg könnte theoretisch auch ein weiteres Brexit-Referendum sein. Doch May und viele andere Politiker sagen, das Volk habe sich 2016 nun einmal so entschieden. Oder die britische Regierung nimmt den Ausstiegsantrag zurück. Das kann sie einseitig tun, der Brexit wäre einfach abgesagt und Großbritannien bliebe EU-Mitglied. Schon mehr als zwei Millionen Briten fordern genau das in einer Petition. Doch auch das ist politisch riskant, und bisher sieht es nicht so aus, als ließe sich eine Mehrheit der Politiker darauf ein.

Großbritanien | Theresa May spricht im Unterhaus | Brexit | London
May ist mit ihrem Brexit-Abkommen schon zweimal im Unterhaus gescheitert Bild: Reuters/TV

CDU/CSU offen für britischen Wiedereintritt

Am Ende der langen Brüsseler Beratungen sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem "sehr intensiven, aber auch sehr erfolgreichen Abend". Dass sich die Debatten über viele Stunden hinweg zogen, sei der  "Ernsthaftigkeit der Lage " geschuldet. "Das war eine sehr ehrliche, wichtige Diskussion heute und wir sind auf alle Szenarien vorbereitet ", erklärte sie. Die übrigen Regierungen machen sich unterdessen schon auf das Schlimmste gefasst, nämlich einen Brexit ohne jede Regelung. Auf britischer Seite wurde sogar ein Sondereinsatzzentrum der Armee in einem atombombensicheren Bunker im Londoner Regierungsviertel eingerichtet.

Die beiden Unionsparteien CDU und CSU in Deutschland denken sogar noch weiter. In einem Entwurf für ihr Europawahl-Programm bieten sie dem Vereinigten Königreich nach einem Ausstieg die erneute Aufnahme in die EU an. "Unser Europa hält für Großbritannien die Tür zur Europäischen Union offen", heißt es dort. Man hofft offenbar auf Reue nach dem Brexit und auf eine steile Lernkurve. CDU und CSU wollen allerdings falsche Erwartungen gleich zerstreuen: "Rosinenpicken" lehne man ab. "Kein Land kann die Vorteile der Europäischen Union in Anspruch nehmen, ohne die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen."

Belgien Proteste von Brexit-Gegner in Brüssel
Fast zwei Millionen Briten fordern in einer Petition eine Absage des BrexitBild: picture-alliance/AP Photo/F. Augstein

Europas Staats- und Regierungschefs sind vom ewigen Hin und Her jedenfalls sichtlich genervt. Seit fast drei Jahren beschäftigen sie sich mit der Frage, wie der Brexit ablaufen soll, und gerade in den letzten Monaten folgt ein Gipfel nach dem anderen, der fast nur das Brexit-Thema kennt, andere wichtige Dinge bleiben liegen. Niemand hat mehr Lust, sich von den Briten die Tagesordnung vorschreiben zu lassen, zumal trotz mancher Zugeständnisse bis heute nicht erkennbar ist, was die britische Seite will. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief schließlich in seiner gewohnt ironischen Art aus: "Ich wusste gar nicht, dass mein Geduldsfaden so lang ist." Der Geduldsfaden der Gipfelteilnehmer jedenfalls reicht, das ist jetzt klar, maximal bis zum 22. Mai.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik