Harsche Kritik am Klimaschutzbericht
15. Dezember 2016Die Schätzungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen seien zu optimistisch gewesen. Besonders der Verkehrssektor, Industrie und Landwirtschaft stehen am Pranger. Hier werde zu wenig gespart. Das geht aus dem Schriftstück der Bundesregierung hervor. Ursprünglich sei man davon ausgegangen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 62 bis 78 Millionen Tonnen pro Jahr senken zu können. Nach aktuellen Berechnungen liegen die jährliche Minderung bei 47 bis 58 Millionen Tonnen und der gesamte CO2-Ausstoß bei 500 Millionen Tonnen. Besonders der Verkehrssektor hinke den Erwartungen hinterher. Statt sieben bis zehn Millionen Tonnen werden aktuell nur 1,6 Millionen Tonnen eingespart.
DieserKlimaschutzbericht 2016 der Großen Koalition ( aus CDU/CSU und SPD) ist eine Steilvorlage für Umweltschutz-Organisationen und Opposition im Deutschen Bundestag. "Als Eingeständnis verfehlter Klimapolitik der Großen Koalition" bezeichnen Bündnis 90/Die Grünen den Bericht. Und Bärbel Höhn, umweltpolitische Sprecherin der Oppositionspartei, glaubt zu wissen, wie die Klimaziele bis 2020 doch noch erreicht werden können: "Wir brauchen CO2-Grenzwerte für fossile Kraftwerke, um das klimaschädliche Überangebot an Kohlestrom merklich zu senken und die schmutzigsten Blöcke unverzüglich vom Netz zu nehmen."
Deutschlands internationaler Ruf als Klimaschutz-Vorreiter gefährdet
Neben der raschen Abkehr von der Kohleverstromung müssten die Klimaschutzmaßnahmen in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft intensiviert werden, so die Grünen. Zur Einsparung durch energetische Gebäudesanierung fordert die Partei bessere Förderanreize für Hausbesitzer.
Die Bundesregierung müsse 2017 zum 'Jahr des Klimaschutzes' machen, fordert nicht nur die Ökopartei angesichts der G20-Präsidentschaft Deutschlands mit dem Gipfel der führenden Industriestaaten in Hamburg und der anstehenden UN-Klimakonferenz in Bonn. Die Grünen sehen sogar die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Exportnation gefährdet. "Anstatt gerade als Exportnation die Chancen neuer Arbeitsplätze in Zukunftsbereichen zu erschließen, gefährdet die Bundesregierung damit bestehende Arbeitsplätze", kritisiert Bärbel Höhn.
Auch Eva Bulling-Schröter von der Linkspartei mahnt Maßnahmen zur ökologischen Modernisierung der Volkswirtschaft an. Die klimapolitische Sprecherin ihrer Partei fordert ein nationales Kohleausstiegsgesetz und eine Beschleunigung der Energiewende. "Dass die Bundesregierung Maßnahmen für mehr Klimaschutz auf den Zeitraum nach der Bundestagswahl Ende 2017 verschiebt", bezeichnet Bulling-Schröter als "ein wahres Armutszeugnis, da der Kampf gegen den Klimawandel auch ein Kampf gegen die Zeit ist."
Der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Olaf Tschimpke, spielt auf die globale Bedeutung der verfehlten Politik an: "Die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, so wie es das Pariser Klimaschutzabkommen formuliert, können wir vergessen, wenn wir es nicht mal hierzulande schaffen, unsere Klimaschutzziele einzuhalten."
Die Klimaschutz- und Energieeffizienzziele müssten endlich an die Pariser Ziele angepasst werden, fordert Tschimpke und appellierte wie die Grünen an die Vorreiterrolle Deutschlands: "Wie kann die Bundesregierung ernsthaft Klimaschutz von anderen fordern, wenn sie selbst nicht in der Lage ist, ihre Ziele und Zusagen einzuhalten?"
Kohleausstieg im Gesetz festschreiben!
Der NABU fordert die Bundesregierung erneut auf, einen gesetzlich geregelten Kohleausstiegsplan vorzulegen, um in spätestens 20 Jahren komplett unabhängig von dem fossilen Energieträger zu sein.
Ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen fordert von der Bundesregierung, den dringenden Handlungsbedarf und wirksame Maßnahmen zu benennen, anstatt das Verfehlen des 40-Prozent-Ziels zu verharmlosen. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisationen BUND, Greenpeace, Oxfam, WWF und das Bündnis Klima-Allianz Deutschland verweisen auf eine eigene Studie, der zufolge die Lücke nochmals um 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente höher ausfallen, als von der Bundesregierung behauptet.
Die Bundesregierung geht ohnehin schon davon aus, dass die jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 62 bis 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente höher liegen werden, als es das 40-Prozent-Ziel zulässt.
Mit der Maßeinheit CO2-Äquivalente kann die Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan oder Lachgas umgerechnet verglichen werden.
Die Bundesregierung habe die Wirkung des Klimaschutzprogramms ursprünglich überschätzt, meint WWF-Sprecherin Erika Bellmann: "Auch jetzt noch werden Teile des Problems weggerechnet und zusätzliche Aktivitäten auf 2018 hinausgezögert."
Die Verbände fordern ein Sofortprogramm für den Klimaschutz. Insbesondere bei der Stromerzeugung, im Verkehrssektor und bei der Steigerung der Energieeffizienz sieht das Bündnis Handlungsbedarf. Tina Löffelsend vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält es für dringend erforderlich, "die dreckigsten Kohlemeiler schnellstens vom Netz zu nehmen".
Karsten Smid von Greenpeace hat den Schuldigen ausgemacht: "Bundesminister Sigmar Gabriel bremst den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle." Das sei eine Blamage für die Bundesregierung. Gabriel (SPD) selbst sieht die Energiewende dagegen weiter auf Zielkurs.
Das Wetter ist schuld am gesteigerten Stromverbrauch
Die Verbände weisen daraufhin, dass das 40-Prozent-Ziel bis 2020 ein Meilenstein sei auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung bis spätestens 2050. Scheitere Deutschland schon mit diesem ersten Schritt, würden die langfristigen Klimaschutzziele umso schwerer zu erreichen sein.
Immerhin: Laut Klimaschutzbericht machten die erneuerbaren Energien 2015 mit einem Anteil von 31,6 Prozent fast ein Drittel des Stromverbrauchs aus. Dass der Stromverbrauch im gleichen Jahr allerdings leicht gestiegen ist, führt die Bundesregierung auf die gute konjunkturelle Entwicklung und die kühle Witterung zurück.