Handy-Flirts in Saudi-Arabien
5. Oktober 2005
Massive Wände trennen Männer und Frauen, wie in jedem ordentlichen Restaurant in Saudi-Arabien. Nur weibliche Gäste dürfen an einem Tisch zusammensitzen, männliche Begleitung ist höchstens dann erlaubt, wenn es sich um nahe Verwandte handelt. Tische für die Männer gibt es auf einer anderen Etage. Trotz der strikten Trennung lassen es sich die meist jungen Gäste nicht nehmen, ausgiebig miteinander zu flirten und sogar Telefonnummern und Fotos auszutauschen.
Was "das Leben spannender macht"
Frauen können in Saudi-Arabien ohne die Einwilligung eines "männlichen Vormunds" - in der Regel der Vater oder der Ehemann - kaum Entscheidungen treffen. Selbst bei der Beantragung eines Reisepasses oder beim Abschluss eines Mobiltelefon-Vertrages ist die Zustimmung eines Mannes nötig. Wer sich in Saudi-Arabien mit einem Vertreter des anderen Geschlechts unterhält, im gleichen Auto sitzt oder essen geht, riskiert eine Festnahme durch die Religionspolizei. Der Kontakt über Bluetooth ist dagegen ebenso sicher wie einfach.
Mit Bluetooth lassen sich drahtlos Daten übertragen, ohne dass die Geräte "Sichtkontakt" haben müssen - und das bis zu zehn Meter weit. Essen zu gehen mache mit der neuen Technik viel mehr Spaß als früher, sagt die 21-jährige Mona. Sie und ihre beiden Freundinnen haben ihre Mobiltelefone gut sichtbar auf dem Tisch liegen, neben Tellern mit Fritten und Sandwiches. Rim nutzt Bluetooth schon seit vergangenem Jahr. "Wir sind immer auf der Suche nach etwas, das das Leben spannender macht", lacht die 24-Jährige.
Hauptsache hübsch
Abdullah Muhammad ist einer der vielen Herren, die sich die Technik zunutze machen. Er sitzt mit seinem Laptop in einem Café und wartet auf Bluetooth-Bekanntschaften. "Ich nutze Bluetooth, um Mädchen zu treffen", sagt der ebenfalls 24-Jährige ganz offen. Sobald eine Frau vorbeikommt, hofft er über seinen PC Kontakt zu ihrem Handy herstellen zu können. Sobald die Funktion aktiviert ist, wird im Umkreis von etwa neun Metern jedes Handy registriert, das ebenfalls Bluetooth eingeschaltet hat. Die Frage, ob sich dieser Versuch bei den tief verschleierten Frauen wirklich lohnt, stellt sich für ihn nicht: Er könne seiner neuen Bekanntschaft zwar nicht ins Gesicht sehen, sagt Muhammad. "Aber wenn ihr Spitzname nett ist, ist sie mit Sicherheit auch hübsch".
Viel Kitsch dabei
Auf dem Handy-Display - oder eben dem Laptop - erscheinen die Spitznamen, die sich die Nutzer gegeben haben: "Herzensbrecher" oder "kleine Prinzessin". Andere werden mit Namen wie "die Anschmiegsame" sogar etwas direkter. Anschließend muss man nur noch anklicken, mit wem man kommunizieren möchte, ohne sich erst ins Telefonnetz einwählen zu müssen. Die ausgetauschten Botschaften sind meist harmlos, in dem streng islamischen Land aber schon Grund genug zur Empörung. Auf vielen Bildern sind Babys zu sehen, beliebt sind auch verträumte Liedtexte oder eher kitschige Sprüche. Aber auch erotische Inhalte werden verschickt, wie das Bild zweier sich küssender Frauen oder ein Mädchen, dass lasziv die Hüften kreisen lässt.
Erst denken, dann tippen
Die Regierung versuchte im vergangenen Jahr, die Kamera-Handys zu verbieten. Weil es inzwischen aber kaum mehr ein Mobiltelefon ohne solche Ausstattung gibt, war dieser Versuch schon bald zum Scheitern verurteilt. Der Informatikdozent Abdul Asis al Asiri weist seine Studenten daher auf möglichen Missbrauch von Bluetooth hin: Wer Fotos seiner Mutter oder Schwestern im Handy gespeichert habe, riskiere, dass sie im ganzen Hörsaal verbreitet werden, betont Asiri.
Und: Wer in Saudi-Arabien unflätige Kurznachrichten per Handy verschickt, riskiert einen blutigen Rücken. Ein Gericht in der Hafenstadt Dschidda verurteilte Ende September einen Saudi zu einem Monat Haft und fünf Peitschenhieben, weil er dem neuen Ehemann seiner Ex-Frau eine SMS mit dem Text "Bring Deine Frau zur Vernunft, oder ich schneide ihr die Zunge ab" geschickt hatte. Der Mann hatte seine Drohung per Handy verschickt, nachdem seine Ex-Frau die gemeinsamen Kinder nach einem Besuchstermin zu spät zurückgeschickt hatte. Ihr neuer Ehemann war über die Drohung so erbost, dass er mit dem Handy direkt zum Gericht marschierte. Der Ex-Mann gestand und wurde verurteilt. (arn)