Haiti braucht zehn Jahre Hilfe
26. Januar 2010Sein Volk sei ausgeblutet, gemartert und am Boden zerstört, betonte der haitianische Ministerpräsident Jean-Max Bellerive am Montag (25.01.2010) im kanadischen Montréal. "Die Menschen von Haiti brauchen mehr und mehr und mehr Hilfe, um den Wiederaufbau zu schaffen." Seine Landsleute seien bis zu zehn Jahre auf Aufbauhilfe angewiesen. An dem internationalen Treffen nahmen Vertreter von etwa 20 Staaten und Organisationen teil.
Neue Hilfskonferenz im März
Die Teilnehmer beschlossen, im März eine internationale Konferenz zur Finanzierung des Wiederaufbaus in Haiti einzuberufen. Sie soll auf Einladung der USA am UN-Hauptsitz in New York stattfinden. Das gab der kanadische Außenminister Lawrence Cannon zum Abschluss des Treffens in Montréal bekannt.
US-Außenministerin Hillary Clinton sagte, die Teilnehmer der Konferenz in Montréal hätten sich auf Grundlagen für die Haiti-Hilfe geeinigt. Dazu gehörten die Führungsrolle des haitianischen Staats und die enge Zusammenarbeit zwischen den Partnern. Ihr französischer Kollege Bernard Kouchner versicherte, bei der internationalen Intervention gehe es nicht darum, Haiti zu "besetzen", sondern darum, unter Führung der Haitianer zu helfen.
Angeblich drei Milliarden Dollar erbeten
Unter Berufung auf haitianische Regierungsvertreter berichtet die "New York Times", Haiti habe in Montréal um drei Milliarden US-Dollar Hilfe gebeten. Allein zwei Milliarden Dollar würden gebraucht, um Häuser für die Hunderttausenden Obdachlosen zu bauen. Die dritte Milliarde werde benötigt, um Regierungsbauten zu errichten und die Infrastruktur wie Häfen und Flughäfen auszubessern.
Zuvor hatte Kanada einen umfassenden Schuldenerlass für Haiti angeregt. Der Verzicht auf die Rückzahlung müsse als eine Möglichkeit auf den Verhandlungstisch, sagte Außenminister Cannon. Er bezifferte den Schuldenstand Haitis mit einer Milliarde US-Dollar. Hauptakteur der internationalen Hilfskonferenz war die so genannte "Gruppe der Freunde Haitis" mit den USA, Kanada, Frankreich, Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Mexiko und Peru. Weitere Teilnehmer waren die Europäische Union, Japan und andere Staaten.
Haiti war durch ein schweres Erdbeben am 12. Januar erschüttert und in weiten Gebieten zerstört worden. Dabei kamen nach offiziellen Angaben mindestens 150.000 Menschen ums Leben. In der Hauptstadt Port-au-Prince ist kaum ein Gebäude unbeschädigt.
Notversorgung für ein Jahr erforderlich
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) gab derweil zu bedenken, dass die Überlebenden des Bebens viel länger versorgt werden müssen als angenommen. "Ursprünglich hatten wir mit zwei Millionen Menschen gerechnet, die wir sechs Monate versorgen müssen", sagte die amerikanische WFP-Chefin Josette Sheeran in New York. "Jetzt gehen wir von mindestens zwölf Monaten aus.»
Das Projekt Haiti sei eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung, vor der das Ernährungsprogramm in 40 Jahren gestanden habe. Sheeran rief deshalb alle Armeen der Erde auf, entbehrliche Fertigmahlzeiten zur Verfügung zu stellen.
In Port-au-Prince bat Staatspräsident René Préval die internationale Gemeinschaft, 200.000 Zelte ins Land zu bringen. Die Familienzelte für die obdachlosen Überlebenden würden umso dringender benötigt, als die Regensaison immer näher rücke, sagte Préval. Notwendig seien außerdem 36 Millionen Nahrungsmittelrationen für 1,5 Millionen bedürftige Menschen für die Dauer von zwei Wochen. Der Staatschef sprach sich dafür aus, dass Flugzeuge, die Zelte bringen, eine vorrangige Landeerlaubnis bekommen sollten.
Staatsoberhaupt zieht ins Zelt
Préval selbst lebt künftig wie viele seiner Landsleute demnächst in einem Zelt. Auch sein Haus wurde bei dem verheerenden Erdbeben am 12. Januar zerstört. Préval werde in ein Zelt im Garten des eingestürzten Nationalpalastes ziehen, sagte Tourismusminister Patrick Delatour, der auch für den Wiederaufbau verantwortlich ist.
Brasilianische Soldaten begannen inzwischen damit, am Stadtrand von Port-au-Prince eine riesige Zeltstadt aufzubauen. Sie planierten rund fünf Hektar Land nördlich der Stadt. Es soll die erste von rund einem halben Dutzend Zeltstädten werden, die vor der Regen- und Hurrikansaison im Sommer in Betrieb genommen werden sollen. Derzeit suchen die meisten der etwa 700.000 Obdachlosen in der Hauptstadt Schutz unter Bettlaken, Kartons oder Plastikplanen.
Autor: Reinhard Kleber (rtr, afp, ap, dpa)
Redaktion: Ursula Kissel