Göttlicher Rausch
11. Oktober 2018In der Bibel im Alten Testament wird episch erzählt, wie das Volk Israel aus der Fremdherrschaft in Ägypten flieht und sich auf den Weg macht in ein Land, in dem angeblich Milch und Honig fließen. Gott zeigt den Weg und führt das Volk. Historisch sind die Geschichten sicher nicht. Die Erzählungen sind keine exakte Geschichtsschreibung, keine Quellentexte, mit denen man 1:1 historisch umgehen könnte. Aber auch in den Überlieferungen, die Generationen sich am Lagerfeuer erzählt haben, bevor sie aufgeschrieben wurden, steckt noch historische Information. Die Geschichten spielen nicht im luftleeren Raum, sie sind in eine Zeit und einen Ort eingebettet.
Aus Nomaden werden Bauern
Es gibt die Theorie, dass die Landnahme in Israel, die nach 40 Jahren Wanderung durch die Wüste stattfand, eine Art Nachhall ist: Eine große Zäsur in der Menschheitsgeschichte. Aus Nomaden werden sesshafte Bauern. Aus Jägern werden Viehzüchter. Natürlich gibt es Streit zwischen denjenigen, die schon sesshaft sind und einen Acker besitzen, und denen, die noch umherziehen und den Begriff „Landbesitz“ gar nicht kennen. Davon berichtet die Bibel. Warum Menschen sesshaft werden und lieber einen Acker bestellen, als Gräser zu suchen, leuchtet uns modernen Menschen sofort ein. Aber wozu brauchten sie eine Überschuss-Wirtschaft?
Aufschluss gibt ein Fund, den Professor Dani Nadel, Archäologe der Universität Haifa, bei Grabungsarbeiten in der Höhle Raqefet getätigt hat. In Stein gehauen finden sich Vertiefungen, Tröge, 40-60 cm tief. Und, so hat der Archäologe herausgefunden, 13.000 Jahre alt. Wahrscheinlich haben Menschen irgendwann zufällig bemerkt: Wenn Getreide nass wird, dann fängt es an zu blubbern. Das dauert eine Weile - dann hört das auf. Und das „Getreidewasser“ schmeckt! Es macht sogar etwas satt - und seltener krank als manches stehende Wasser. Und im Kopf macht dieses Getränk leicht beschwingt. In Wasser fermentiertes Getreide - der Definition nach ist das Bier. Wenn auch lange nicht so ausgeklügelt und alkoholhaltig wie unsere heutigen Biere.
Der göttliche Rausch
Im gelobten Land stand also sozusagen die älteste Brauerei der Welt. Archäologe Nadel sagt: „Wenn wir uns nicht täuschen, ist dies der älteste Hinweis auf eine Alkoholproduktion weltweit.“
Auch an anderen Orten gibt es ähnliche Funde. Beispielsweise im türkischen Göbekli Tepe. Die Funde hier sind einige Jahre jünger. Die hier ausgegrabene, große Anlage ist seit diesem Jahr UNESCO Weltkulturerbe. Auch hier wurden Bottiche gefunden, die zum Lagern von Flüssigkeiten gedacht sein müssen. Aber in einer Größe, die die Forscher staunen macht. Auch hier wird vermutet: Es wurde ein einfaches Bier gebraut, im großen Stil - und dann zu Festtagen mit von weiter her anreisenden Menschen konsumiert. Ergebnis ist zunächst der gemeinsame, kleine oder größere Rausch, ein Fest; wahrscheinlich ein Kult. Welcher Religion die Menschen von Göbekli Tepe und bei der Höhle Raqefet angehörten, wissen wir nicht.
Aber dass der Rausch zum Kult gehört, das hat sich bis heute fortgesetzt. Noch im Christentum geht es um ein neues, anderes Bewusstsein - und das wird auch im christlichen Kult leicht mit Alkohol unterstützt: Der kleine Schluck Wein auf nüchternen Magen beim sonntäglichen Abendmahl meldet sich bei vielen recht flott auch im Kopf. Und von Jesus wird erzählt, dass er eine Hochzeitsparty rettet, indem er - ein Wunder! - aus Wasser Wein macht. Seit Jahrtausenden mögen Menschen den kleinen Kick - und bringen ihn offenbar mit einem göttlichen Sausen in Verbindung. Wer weiß, vielleicht hätte die Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste keine 40 Jahre gedauert, wenn als Belohnung statt Mich und Honig besser Wein und Bier vor Augen gestanden hätten.
Quellen:
Terra X „Drogen - eine Weltgeschichte“ (Teil 1) und https://www.facebook.com/ZDFterraX/photos/a.319559857930/10156386198107931/?type=3&theater
Zum Autor:
Björn Raddatz wurde 1970 als Pfarrerskind geboren und studierte in Mainz und Bonn evangelische Theologie. Er arbeitet inzwischen als Internet-Redakteur bei einem TV-Sender.