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PolitikAsien

Singapur auf dem Weg zu mehr Autokratie

Alexander Görlach
14. September 2021

Die Schließung eines Colleges sollte eigentlich nichts außergewöhnliches sein. In Singapur steht sie jedoch für einen grundsätzlichen Wandel, meint Alexander Görlach.

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DW Zitattafel | Alexander Görlach | Singapur & China

Singapur ist einen Schritt weiter in Richtung Autokratie gegangen: In der vergangenen Woche beschloss die National University Singapore (NUS) einseitig, ein gemeinsames College zu schließen, das die renommierte Universität seit knapp einer Dekade mit der US-amerikanischen Elite-Hochschule Yale betreibt. Damit endet das gemeinsam verantwortete Liberal Arts Programm, das den Studierenden in dem semi-autokratischen Mini-Staat hinter Universitätsmauern ein bisschen Freiheit verschaffen konnte.

Bei meinem Besuch auf dem Campus im Herbst 2019 wurde mir bereits bedeutet, dass Singapur sich seit der Gründung des gemeinsamen Colleges in Richtung Unfreiheit verändert habe. Heute, so war der Tenor seinerzeit, würde ein solches College, das freies Denken fördere, nicht mehr genehmigt werden.

Eigenständiges Denken unerwünscht

Das generalistische Studium der Liberal Arts befähigt Studierende zu kritischem Denken, Argumentation und Diskurs. Diese praktischen Fähigkeiten werden mit einzelnen Disziplinen der Geisteswissenschaften verknüpft: Sprachen, Philosophie, Ethik, Soziologie, Politikwissenschaft. So ausgebildete junge Menschen, die selbst denken, sich ausdrücken können und Veränderung einfordern, möchte man in Singapur nicht. Das Land, dessen Bevölkerungsmehrheit aus Han-Chinesen besteht, wünscht sich, anders als die anderen Ethnien im Land, vielmehr das Gegenteil: eine stärkere Anbindung an China und seine Diktatur. 

Singapur Aussenanicht der Nationalen Universität Singapur NUS
Der Campus der National University SingapurBild: Catherine Lai/AFP via Getty Images

Dies ergab eine Erhebung des PEW-Insititutes in Washington in diesem Jahr. Dabei wurden Menschen aus 17 Industrienationen - 16 Demokratien und Singapur - befragt, wie sie zu China stehen. Überall auf der Welt war der Tenor gleich: Die Volksrepublik respektiert die Menschenrechte nicht, es sollte daher mehr mit den USA und nicht mit China zusammengearbeitet werden.

Die Beliebtheitswerte von Xi Jinpings dunklem Reich sind überall auf der Welt auf einem historischen Tiefstand. Das einzige Land, das hier herausstach, war Singapur. Hier will eine Mehrheit mehr Autokratie und weniger Freiheit. Singapur musste sich nach dem Fall Hongkongs positionieren: Entweder möchten wir mehr Anbindung an die freie Welt oder an das autokratische China. Die Würfel sind gefallen. 

Singapur hätte profitieren können

Dass diese Wahl auf mehr Autokratie fallen würde, war dabei nicht ausgemacht: Singapur unterhält freundliche Verbindung zu Taiwan, der Inseldemokratie, die Chinas Machthaber Xi Jinping erobern und seinem Land einverleiben möchte. Beide Staaten führten in der Vergangenheit gemeinsame Militärübungen durch. Singapur hätte in der Tat davon profitieren können, jene Geschäfte, die in Hongkong nicht mehr gemacht werden können, zu sich auf die Insel zu holen, die schon lange als starker Finanzplatz in der Region gilt. Aber letztendlich gibt die han-chinesische Bevölkerung hier den Ton an. Und die möchte näher ans repressive China heranrücken.

In der Tat wurden die Daumenschrauben, vor allem gegen die Jugend, in der jüngeren Vergangenheit stärker angezogen: Der Aktivist Jolovan Wham wurde zu Gefängnis verurteilt, weil er auf einem öffentlichen Platz einen Smiley in eine Kamera hielt. Das wird vom repressiven Gesetzgeber als unangemeldete Ein-Personen-Demonstration gewertet und mit Gefängnis bestraft. Wham macht sich auch für die Rechte von Gastarbeitern in Singapur stark, die in dem Land nicht gut behandelt werden.

Er ist auch ein Aktivist für mehr Rechte von LGTBQ+-Menschen. All das wird in Singapur nicht gern gesehen. Im Jahr 2020 bestätigte das Oberste Gerichtshof die Straffähigkeit von Homosexualität. Demnach kann Sex zwischen zwei Männern in dem Stadtstaat immer noch mit Gefängnis bestraft werden. Es versteht sich, dass die Initiative zur Aufhebung dieser repressiven Gesetzgebung von jungen Menschen, von solchen, wie sie auch am NUS-Yale College studiert haben, getragen wurde. 

Nur noch ein Vorhof Pekings

Singapur vergibt mit diesem neuen Kurs eine großartige Chance, zur freien Welt aufzuschließen. Näher an China zu rücken, wird dem Land nur schaden. Wie in Hongkong auch werden die jungen Menschen, die gut ausgebildet sind, das Land verlassen und woanders ihr Glück suchen.

Präsident Xis nationalistischer Ruf "einmal Chinese, immer Chinese" mag viele Han-Chinesen in Singapur entzücken. So verführt, droht den Menschen in Singapur allerdings ihr eigener Nationalstaat zu entgleiten. Sie werden so unter Umständen zu einem Vorhof Pekings - ohne eigenständigen Charakter und ohne Möglichkeit, außerhalb von Pekings direktem Einfluss zu agieren. Die Schließung des weltoffenen Yale-NUS College zeigt einmal mehr in diese Richtung.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009-2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin The European heraus.