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Politik

China kann die Coronakrise für sich nutzen

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
3. Februar 2021

Warum konnte China die Pandemie so schnell überwinden? Ist das diktatorische System wirklich überlegen? Im Westen schrillen die Alarmglocken, meint Alexander Görlach.

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Zitatkarte Alexander Görlach

Die Masken-Diplomatie Chinas zu Beginn der Coronakrise hat sich zur Impf-Diplomatie weiter entwickelt. Nachdem nun zum zweiten mal innerhalb eines Jahres Knappheit in der freien Welt herrscht - zuerst Masken, nun der Impfstoff - bietet sich die Speerspitze der Autokratie als helfende Hand und Retter an. Nur ganz naive Gemüter können annehmen, dass diese Hilfsbereitschaft Pekings menschlichem Mitgefühl entspringe. In Wahrheit läuten in Hauptstädten von Washington bis Berlin schon seit längerem die Alarmglocken: Denn Chinas Luftbrücke nach Europa, über die zuerst Impfstoff nach Serbien und nun auch nach Ungarn geliefert wird, ist ein geschickter Schachzug im Wettstreit der Systeme.

In der Ideologie der chinesischen Nomenklatura ist die Volksrepublik nur deshalb so gut aus der Pandemie hervorgegangen, weil es im Land weder Parteienvielfalt noch freie Wahlen gibt. Der chinesische Machthaber Xi Jinping wird nicht müde zu behaupten, dass seiner Partei der Sieg über das Virus durch einen Mix aus Konfuzianismus und "Sozialismus chinesischer Prägung" gelungen sei. Der an der Fudan-Universität in Shanghai lehrende Philosoph Tongdong Bai erklärt die Überlegenheit des chinesischen Weges in seinem Buch "Gegen politische Gleichheit" wie folgt: Die Schwäche westlicher Demokratien liege darin, dass alle Erwachsenen Wahlrecht hätten und so in der Lage seien, über Dinge zu bestimmen, von denen sie nicht immer etwas verstünden.

Sind Experten die besseren Regierenden?

Dieses Argument wird auch in der freien Welt bemüht, wenn darum gestritten wird, ob Regierungen allein auf der Basis von Expertenempfehlungen agieren können oder das Parlament konsultieren müssen. In der Eurokrise des Jahres 2011 wurde in Italien vom Staatspräsidenten eine "Expertenregierung" unter der Leitung von Mario Monti damit beauftragt, das Land in einem Kraftakt zu retten. Die italienische Parteienlandschaft ist zerklüftet und der politische Willensbildungsprozess daher traditionell mühsam. Kein Mitglied dieser Regierung gehörte einer Partei an - ein pikantes Detail, das sich in der Argumentation Pekings gut ausschlachten lässt.

Serbiens Gesundheitsminister Zlatibor Loncar wird vor Kameras mit dem chinesischen Vakzin geimpft. Rechts ein älterer Mann im T-Shirt mit hochgekrempeltem Ärmel, in der Mitte ein Arzt, der die Impfung vorbereitet, links Fotografen und ganz rechts eine Fernsehkamera.  (Nikola Andjic/Tanjug/Handout via Xinhua)
Serbiens Gesundheitsminister (rechts) wird vor Kameras mit dem chinesischen Vakzin geimpftBild: Nikola Andjic/Tanjug/ Xinhua News Agency/picture alliance

So plädiert der Philosoph Tongdong Bai dafür, dass demokratische Gemeinwesen nur auf der lokalen Ebene durch Wahlen regiert werden sollten. Je abstrakter allerdings das Regierungshandeln würde, desto eher solle man sich auf ein meritokratisches Expertenmodell besinnen, so wie es die Kommunistische Partei in China in ihrer Selbstwahrnehmung für sich in Anspruch nimmt.

Ohne Schaden durch die Pandemie

Die Wirklichkeit gibt Peking in der gegenwärtigen Lage recht: Während die Nationen der freien Welt 2020 an Wirtschaftskraft eingebüßt haben und über Massenarbeitslosigkeit klagen, ist die Volksrepublik längst wieder auf Kurs. Auch der Handelskrieg, den Donald Trump vier Jahre lang mit Peking führte, hat China nicht geschwächt: Die Lust auf Investitionen in dem Land, an dessen nordwestlicher Peripherie in Konzentrationslagern mit Stacheldraht und Wachtürmen rund eine Million Menschen eingesperrt sind, ist ungebrochen. Die Exporte liegen auf Vor-Krisen-Niveau und die Binnennachfrage hat angezogen.

In Brüssel geht angesichts dieser Sachlage zu recht die Angst um, dass die Akzeptanz der Europäischen Union ob des Impf-Chaos' nunmehr in flächendeckende Ablehnung umschlagen könnte.

Modern eingerichtetes Krankenhauszimmer in Harare, Simbabwe. Zwischen zwei Krankenbetten ein schwarzer Arzt oder Pfleger, der auf den Monitor eines Beatmungsgerätes zeigt. | Wanda/Xinhua/imago images
Bereits zu Beginn der Corona-Krise wurden Krankenhäuser in Afrika mit chinesischer Hilfe modernisiert. Dieses Foto vom 26. April 2020 aus Harare, Simbabwe, wurde von der chinesischen Agentur Xinhua verbreitetBild: Wanda/Xinhua/imago images

Lange Zeit hatte China nicht einmal im Ansatz das, was die Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter dem Stichwort "Soft Power" auf die Straße bringen konnten. Der Begriff steht für Methoden und Möglichkeiten einer Einflussnahme außerhalb des politischen Raumes, außerhalb einer klassischer Außenpolitik. Im Falle der USA waren das unter anderem Musik und Film, über die sich der "American Way of Life" und mit ihm die Lust am Erlernen der englischen Sprache über den Globus bis in die entlegensten Winkel verbreiteten. In Deutschland gab es im letzten Amtsjahr von Donald Trump bereits eine Umfrage, deren Ergebnisse erschütternd offenlegte, dass die Beliebtheit der USA ab-, die der Volksrepublik hingegen zugenommen hat. Nun spielt die Volksrepublik mit Masken und Impfstoff ihre eigene "Soft-Power”-Strategie aus.

Folgen in aller Welt

Das Stimmungsbild könnte sich entsprechend auch in Gegenden der Welt drehen, um die sich die Europäer im Moment nicht kümmern, weil sie die Corona-Pandemie noch nicht einmal zu Hause unter Kontrolle bekommen. Die USA werden sich unter Präsident Biden wieder aufrappeln. Allerdings ist das Land, in dem die Pandemie wegen seines inkompetenten Vorgängers völlig aus dem Ruder gelaufen ist, ebenfalls in erster Linie mit sich selbst beschäftigt.

Stehen die Impstoffe aus Europa und Nordamerika nur in Ländern mit weißer Bevölkerungsmehrheit zur Verfügung, dann bleibt den Menschen in den anderen Weltteilen keine Wahl, als entweder zu warten oder ein Angebot Chinas anzunehmen. Dann aber wird die Soft-Power der freien Welt und damit die Attraktivität des demokratischen Modells auf ein bis dahin nicht bekanntes Maß schrumpfen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hong Kong.