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Gyaltsen: "Westen soll auf die Tibet-Debatte Einfluss nehmen"

Matthias von Hein 6. Dezember 2013

Erneut ist es in China zur Selbstverbrennung eines Tibeters gekommen. Kelsang Gyaltsen, Sondergesandter des Dalai Lama, fordert Berlin und die EU auf, sich in Chinas Debatte über Minderheitenpolitik einzumischen.

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Kelsang Gyaltsen Repräsentant des Dalai Lama
Bild: picture-alliance/dpa

Erst Anfang Dezember hat sich erneut ein Tibeter in der Provinz Sichuan aus Protest gegen die Tibet-Politik Pekings angezündet. Um die Bundesregierung und den Bundestag auf die Menschenrechtssituation in Tibet aufmerksam zu machen, besuchte der Europa-Beauftragte des Dalai Lama, Kelsang Gyaltsen, vor kurzem Deutschland.

Deutsche Welle: Herr Gyaltsen, in Berlin haben Sie sich vor kurzem mit Bundestagsabgeordneten getroffen. Die wachsende Marktmacht China ist der größte Handelspartner Deutschlands in Asien. Immer mehr chinesische Investoren kommen nach Europa, auch in Zeiten der Eurokrise. Wie sehr interessieren sich deutsche Politiker heute noch für die Menschenrechtssituation in Tibet?

Kelsang Gyaltsen: Die Bundesregierung und der Bundestag beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Menschenrechtssituation in Tibet. Der Bundestag hat Anhörungen zu Tibet und zu der dortigen Menschenrechtssituation veranstaltet. Die ehemaligen deutschen Außenminister Klaus Kinkel und Joschka Fischer waren mit dem Dalai Lama zusammengekommen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel traf den Dalai Lama 2007 im Kanzleramt. Es ist also eine lange Tradition, dass sich die Bundesregierung und der Bundestag mit der Menschenrechtssituation in Tibet beschäftigen.

Die Bundesregierung hat stets öffentlich gesagt, dass Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik sind. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Deutschland weiterhin mit der chinesischen Regierung über die Situation in Tibet spricht, denn die Menschenrechtssituation in Tibet hat sich dramatisch verschlechtert.

Wofür interessieren sich Ihre Gesprächspartner in Berlin am meisten?

Selbstverständlich ist ihnen die aktuelle Situation sehr wichtig, sofern wir mit unseren Informationsquellen etwas über neue Entwicklungen in Tibet sagen können. Die Bundesregierung interessiert sich auch dafür, ob es Kontakte und Beziehungen zwischen der chinesischen Führung und der tibetischen Führung im Exil gibt.

Dalai Lama bei einem öffentlichen Auftritt in New York im Oktober 2013. (Foto: Reuters)
Dalai Lama bei einem öffentlichen Auftritt in New York im Oktober 2013Bild: Reuters

Sie haben an den letzten neun Verhandlungsrunden mit Vertretern Pekings teilgenommen. Bis 2010 wurde verhandelt, jedoch ohne Erfolg. Gibt es derzeit Kontakte zwischen der tibetischen Exilregierung und Vertretern Pekings?

Nein, im Moment gibt es keine direkten Kontakte. Einer der Punkte, über die ich bei diesem Besuch hier in Berlin die Bundesregierung informieren will, ist die Tatsache, dass auch in China eine sehr kontrovers geführte öffentliche Debatte über die Politik gegenüber Minderheiten im Gange ist.

Die Lage in Tibet ist nach wie vor sehr dramatisch. Wir haben bis jetzt 123 Selbstverbrennungen registriert. Deshalb glauben wir, dass es jetzt für die internationale Gemeinschaft ein günstiger Zeitpunkt ist, mit der chinesischen Führung über Tibet zu sprechen und sie zu einem Umdenken in Bezug auf die Minderheitenpolitik und insbesondere auf die Tibet-Politik zu drängen. Die chinesische Regierung sollte ermutigt werden, im Dialog mit den Tibetern eine einvernehmliche Lösung zu suchen.

Vor wenigen Tagen hatte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas eine umfangreiche Liste von 60 Reformbeschlüssen veröffentlicht. Konnten Sie da auch etwas für die Lage der nationalen Minderheiten in China im Allgemeinen und für die Lage der Tibeter im Besonderen herauslesen?

Ein Punkt, der heraussticht, ist die Bildung eines neuen "Nationalen Sicherheitskomitee". In diesem Komitee ist auch eine Untergruppe für Tibet und Xinjiang geplant. Das ist ein Zeichen dafür, dass Spitzenpolitiker Chinas nun für die Probleme in Tibet und Xinjiang Verantwortung übernehmen wollen. Wie sich diese Veränderungen tatsächlich auf die Situation in Tibet auswirken werden, lässt sich im Moment nicht genau voraussagen.

Exil-Tibeter gedenken der Opfer der Selbstverbrennung im März 2012 im indischen Dharamsala. (Foto: dapd)
Exil-Tibeter gedenken der Opfer der Selbstverbrennung im März 2012 im indischen DharamsalaBild: AP

Nach einem jüngsten Bericht der amtlichen Zeitung "Xinjiang Ribao" dürfen Studenten an den Universitäten in Xinjiang nur dann ihre Abschlüsse machen, wenn 'ihre politischen Überzeugungen geprüft wurden', selbst wenn ihre akademische Arbeit exzellent ist. Gibt es ihres Wissens nach so eine Politik auch in Tibet?

Vor gut zehn Jahren hatte der Parteisekretär der Autonomen Region Tibet in einer Parteisitzung gesagt, dass es in Bezug auf das Schulwesen in Tibet nicht darauf ankomme, welche Prüfungen die Studenten bestünden, sondern wie ihre politische Haltung sei. Das ist der ausschlaggebende Punkt und das Hauptziel des Bildungssystems in Tibet. Also, solche Ankündigungen sind uns Tibetern nicht fremd.

Gleichzeitig gibt es aber auch andere Signale: Vor einigen Monaten soll der chinesische Präsident Xi Jinping gesagt haben, dass die traditionellen Religionen in China in der Gesellschaft eine wichtige Funktion hätten und mehr Harmonie und Moral in die Gesellschaft bringen würden.

Und im Juni hatte eine Professorin der zentralen Parteischule der KPCh im Interview mit einem Nachrichtenmagazin in Hongkong deutlich gemacht, wie wichtig die Religion für die tibetische Bevölkerung sei und dass man den Dalai Lama nicht als Feind betrachten und behandeln solle. Ihrer Meinung nach müsse Peking einen Dialog mit dem Dalai Lama aufnehmen und Lösungen finden.

Umgekehrt hat kürzlich der Parteisekretär der autonomen Region Tibet, Chen Quanguo, in der Parteizeitschrift "Qiushi" ganz andere Töne angeschlagen. Da wird sehr martialisch gesprochen, das Schwert solle gezeigt werden und die Stimme des Dalai Lamas solle ausgerottet werden. Wie ist denn dann diese sehr harte Rhetorik zu deuten?

Diese Widersprüche zeigen, dass in China eine heftige Debatte über die Politik gegenüber den Minderheiten im Gange ist. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft jetzt versucht, auf diese Debatte Einfluss zu nehmen.

Denn nicht nur China hat Minderheiten, sondern viele andere Länder. Es gibt verschiedene Modelle, wie man friedlich und harmonisch die Minderheitenpolitik gestalten kann. Daher finde ich es sehr wichtig, dass man versucht, sich an dieser internen Debatte in China zu beteiligen, damit verschiedene Beispiele aus anderen Ländern betrachtet werden können, bis China eine tragfähige Minderheitenpolitik hat, die den Grundbedürfnissen der vielen Minderheiten gerecht wird.

Kelsang Gyaltsen, Jahrgang 1951, ist Europa-Gesandter des Dalai Lama. Er hatte 1959 Tibet mit seiner Familie verlassen und machte in der Schweiz seine Ausbildnug. Bevor er zum Sondergesandten des Dalai Lama ernannt wurde, war er Sekretär des Dalai Lama für internationale Beziehungen im indischen Dharamsala.