"Keinen Hass säen"
25. September 2014DW: Wie hat die französische Öffentlichkeit auf die Enthauptung von Hervé Gourdel reagiert?
Franck Guillory: Seit gestern Mittwochabend ist die Stimmung emotional sehr aufgeladen. Das war auch schon so als der Journalist James Foley und andere Entführte enthauptet worden waren, aber jetzt haben die Leute realisiert, dass auch Franzosen Ziele solcher Gräueltaten geworden sind. Das hat zu einem völlig anderen Verständnis geführt in Bezug auf das, was in diesem Krieg gegen den Dschihad auf dem Spiel steht.
Der französische Präsident François Hollande hat am Mittwoch vor den Vereinten Nationen zu einer nationalen Einheit aufgerufen. Innerhalb des politischen Spektrums aber hört man Aufrufe zur Unterstützung der Kampfhandlungen der französischen Armee im Irak und wahrscheinlich auch bald in Syrien.
Ein dritter Aspekt ist der Wunsch der Franzosen, wirklich zu verstehen, was hier auf dem Spiel steht, um nicht den sogenannten "Heiligen Krieg" der Terroristen mit dem Islam zu verwechseln oder innerhalb der französischen Gesellschaft Hass zu säen oder gewöhnliche Muslime zu stigmatisieren.
Wie leicht wird es der französischen Öffentlichkeit fallen, so eine Stigmatisierung zu verhindern und da, wo keine Bedrohung durch den Dschihad besteht, auch keine hineinzuinterpretieren?
Ich denke, darin liegt die größte Herausforderung. Die ist größer als irgendwelche Militär-Operationen. Militärische Koalitionen werden den "Islamischen Staat" (IS) am Ende besiegen, doch wir müssen sicher stellen, dass dies nicht zu einem Bürgerkrieg hier bei uns führt. Beispielsweise dass Menschen, nur weil sie Muslime sind, nicht als potenzielle Verbündete des IS betrachtet werden. So, wie wir begriffen haben, dass nicht jeder Deutsche ein Nazi war, müssen wir verstehen, dass nicht jeder Muslim ein islamischer Extremist oder ein Dschihadist ist. Wir müssen die Bedingungen unseres Zusammenlebens überprüfen und neu bewerten.
Was wäre ein Anzeichen dafür, dass man an dem Vorhaben gescheitert ist?
Wenn wir dabei versagen, werden junge Muslime es für akzeptabel halten mit Dschihadisten in Syrien und dem Irak zu kämpfen. Irgendwann werden sie sich fragen, warum sie zum Kämpfen so weit weg fahren, wenn sie es doch auch in ihrer eigenen Stadt tun können. Da sind wir zwar noch nicht angekommen, aber wir müssen uns der möglichen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unseren Frieden bewusst werden. Wir müssen so vereint wie möglich sein, und dazu müssen wir vor allem ein klares Verständnis von unserem Feind haben und wissen, wofür er kämpft. Dann können wir uns darauf vorbereiten, wie wir uns dagegen wehren. Die größte Herausforderung ist aber die, zu Hause, vereint zu sein.
Gibt es angesichts der Tötung von Hervé Gourdel inzwischen mehr Zuspruch in der Bevölkerung für das französische Engagement bei der internationalen Zusammenarbeit gegen den "IS"?
In den ersten Stunden der Intervention betrachteten viele Franzosen dies nur als einen weiteren amerikanischen Krieg im Irak. Ich denke aber, dass es jetzt ein klares Verständnis dafür gibt, dass das hier etwas anderes ist. Wir wollen es keinen Weltkrieg nennen, aber es ist ein internationaler Krieg. Einer, den wir so vorher noch nie erlebt haben. Hier geht es nicht um einen gewöhnlichen Staat, sondern um eine Organisation, die sehr flexibel und sehr schwierig einzudämmen ist. Es gibt keine klare Front in diesem Krieg. Langsam begreifen die Leute, dass dieser Krieg nicht nur im Irak oder in Syrien gewonnen wird, sondern dass wir, um ihn zu gewinnen, vielleicht auch in den Straßen von Paris kämpfen müssen.
Herrscht denn eine Sorge davor, was die Rückkehrer aus dem Krieg in Syrien mit zurück bringen könnten?
Es gibt die Befürchtung, dass ehemalige Dschihadisten, die nach Frankreich zurückkommen, den Krieg importieren könnten - so wie das auch Rückkehrer in Deutschland oder Großbritannien tun könnten. Die Kämpfer haben ja ganz klar diese Zielvorgabe. Das bedeutet, dass der Krieg überall stattfindenwird. Es ist hier sehr wichtig, dass wir nicht das Spiel des "Heiligen Kriegs" mitspielen und unsere Sprechweise auch nicht radikaler gestalten. Ich glaube, in Frankreich gibt es gerade Aufrufe zu Demonstrationen, bei denen wir Muslime und Nicht-Muslime auf den Straßen sehen werden, die sagen, dass das nicht in ihrem Namen passiert.
Angesichts der schwierigen gemeinsamen Geschichte beider Länder: Hat es irgendeine Bedeutung, dass dieser Franzose in Algerien getötet wurde?
Ich denke, wir sind über diesen Punkt schon hinaus. Es ist wahr, dass wir mit Algerien eine sehr schwierige Geschichte haben. Aber dieser Mord ist etwas ganz Neues. Ich denke nicht, dass das an sich eine Botschaft an Frankreich gewesen ist. Das hier ist ja kein Krieg gegen Frankreich, Amerika oder Großbritannien - es ist ein Krieg gegen alle modernen Gesellschaften, gegen die zivilisierte Welt an sich. Deswegen werden wir in den kommenden Wochen und Monaten auch verbesserte Beziehungen mit dem Iran erleben. Jedes Land wird sich entscheiden müssen - zwischen der zivilisierten Welt und der barbarischen Ideologie.
Frankreich hat sich dem internationalen Vorhaben angeschlossen, den IS im Irak und Syrien zu bekämpfen. Denken Sie, dass Algerien nun auch zu einem Ziel werden könnte?
Was die französische Regierung tun kann, tun wird und wahrscheinlich gerade tut, ist, die algerischen Behörden in ihrem Kampf gegen Terroristen zu unterstützen. Wenn es jedoch in Teilen Algeriens ein Kalifat, also ein Islamischer Gottesstaat entstehen würde und es von der algerischen Regierung eine Bitte um eine französische Militärintervention gäbe, dann würden wir dem natürlich nachkommen. Das ist aber nichts, was wir unilateral entscheiden würden.
Franck Guillory ist Journalist und Chefredakteur der in Frankreich sitzenden internationalen Nachrichten-Seite JOL Press.
Das Gespräch führte Tamsin Walker.