Grüne bereiten sich auf Jamaika vor
30. September 2017Wäre eine Jamaika-Koalition ein Verrat an den Zielen der Grünen? Seit dem Wahltag diskutiert die Parteibasis kontrovers über das Für und Wider einer Zusammenarbeit mit CDU/CSU und FDP. Vereinzelt soll es aus Protest Parteiaustritte gegeben haben, aber die Mehrheit der Mitglieder befürwortet die Aufnahme der Sondierungsgespräche. Mit einem entsprechenden Beschluss des kleinen Parteitags am Samstag in Berlin wird gerechnet. "Eine Einladung der CDU und CSU zu gemeinsamen Sondierungsgesprächen mit der FDP nehmen wir an", heißt es im Antrag des Parteivorstands.
Endlich raus aus der Opposition?
"Wir müssen es versuchen, lasst uns verhandeln", lautet der Tenor in der Partei, die bei der Bundestagswahl 8,9 Prozent der Stimmen bekam. Die Chance, nach 12 Jahren in der Opposition wieder grüne Inhalte auf Bundesebene umzusetzen, dürfe nicht leichtfertig vertan werden. Ob die Gespräche dann tatsächlich zu einer Jamaika-Koalition führen, das hält die Basis allerdings noch längst nicht für ausgemacht. "Die Hürden für eine Zusammenarbeit sind hoch", heißt es auch im Antrag des Parteivorstands. Es gebe "keinen Automatismus für eine Regierungsbeteiligung". Die Partei habe gezeigt, dass sie "auch aus der Opposition Entscheidendes bewegen" könne.
Keine Erfolgsgarantie
Am größten ist die Skepsis auf dem linken Parteiflügel, der in der Verhandlungsgruppe unter anderem durch den früheren Umweltminister Jürgen Trittin repräsentiert wird. Insgesamt 14 Mitglieder hat das Team, das alle Themenfelder und Strömungen der Partei abdecken soll. Angeführt wird es von den beiden Spitzenkandidaten, Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Neben Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird auch Robert Habeck mit am Tisch sitzen, der in Schleswig-Holstein Umweltminister in einer Jamaika-Koalition ist. Das macht ihn nicht unbedingt optimistischer: "Der Ausgang ist extrem ungewiss".
Knackpunkt Klimaschutz
Auch die Parteispitze betont bei jeder Gelegenheit, dass es ohne grüne Inhalte keine gemeinsame Regierung geben werde. Aber wieviel Grün muss in den Vertrag hinein? Verhandeln will die Umweltpartei auf der Basis eines 10-Punkte-Papiers, das die wichtigsten Wahlkampfziele auflistet. Ganz oben: Der Klimaschutz, für die Grünen "die Existenzfrage schlechthin auf unserem Planeten". Das Pariser Klimaschutzabkommen sei ein internationaler Vertrag, den Deutschland unterschrieben habe, betont Göring-Eckardt. "Da haben wir überhaupt keinen Spielraum, den müssen wir erfüllen."
Damit das gelingt, fordern die Grünen einen Ausstieg aus der Braunkohle zugunsten erneuerbarer Energien - und erwarten in diesem Punkt Auseinandersetzungen mit der FDP, die weiter auf die Verstromung von Braunkohle setzt. Außerdem sollen nach dem Willen der Grünen ab 2030 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden - für CDU/CSU und FDP undenkbar.
Grüne gegen Obergrenze
Ein weiterer Streitpunkt ist die Flüchtlingspolitik. Die Grünen lehnen sowohl eine Obergrenze als auch eine Begrenzung des Familiennachzugs für anerkannte Flüchtlinge ab. Bevor man darüber verhandele, müssten aber CDU und CSU erst einmal ihren Zwist über das Thema Obergrenze beilegen, fordern die Grünen. "Ich glaube, dass die Union sich erstmal auf eine Position verständigen muss. Unsere Position zu dem Thema ist bekannt", sagte Fraktionschef Anton Hofreiter, ebenfalls Mitglied des Verhandlungsteams.
Spekulationen über Ministerposten
Auch wenn die Gespräche noch nicht begonnen haben, sind Ambitionen auf Ministerposten bei den Grünen durchaus schon zu erkennen. Das Wahlergebnis war noch keine 24 Stunden alt, da meldete Spitzenkandidatin Göring-Eckardt Ambitionen an: Es liege auf der Hand, dass sie "in jedem Fall eine Rolle spielen" werde, wenn es zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen komme.
Auf das Ressort Umwelt- und Energiepolitik würden die Grünen in diesem Fall sicher Anspruch erheben. Cem Özdemirs Name wird genannt, wenn es um die Besetzung des Außenministeriums geht. Die Grünen favorisieren außerdem die Schaffung eines neuen Integrationsministeriums, das sie dann selbst besetzen könnten. Dass es zu diesem Thema bereits Vorgespräche mit der FDP gegeben habe, wie eine Zeitung behauptet hatte, bestreiten sie allerdings. "Das ist Quatsch. Es gab weder ein solches Treffen geschweige denn irgendwelche Verabredungen", teilte ein Parteisprecher mit.
Urabstimmung der Mitglieder
Die teils optimistische, teils skeptische Parteibasis hat in jedem Fall das letzte Wort: Sollten die Sondierungsgespräche erfolgreich sein, wird ein Bundesparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden und eine grüne Verhandlungsgruppe einsetzen. Kommt dann ein Koalitionsvertrag zustande, dann ist es an der Parteibasis, in einer Urabstimmung die Regierungsbeteiligung der Grünen abzulehnen oder abzusegnen. "Das Informationsbedürfnis der Basis ist riesig", sagt ein Parteimitglied, was bei vertraulichen Gesprächen natürlich nicht einfach sei. Die Verhandlungen über die erste Jamaika-Koalition auf Bundesebene würden also in jeder Hinsicht "eine Gratwanderung".