Grundschule: Seit 100 Jahren zum Einmaleins
Vor 100 Jahren wurde die gemeinsame Grundschule geschaffen - seitdem ist die "Schule für alle" im Wandel und muss neben Lob auch Kritik einstecken. Ein Blick auf eine Institution, die sich immer wieder neu erfindet.
Endlich Chancengleichheit?
Es war ein Novum in der deutschen Bildungsgeschichte: Statt privilegierte Schüler zum Hauslehrer und arme Schüler in übervolle Volksschulklassen zu schicken, sollen nun - wir schreiben das Jahr 1919 - alle gemeinsam lernen. Die damals achtjährige Grundschule, auch Volksschule genannt, wird auf Grundlage der Weimarer Verfassung gegründet - und feiert nun ihr hundertjähriges Jubiläum.
Uniformiert in den Unterricht
Die anfängliche Euphorie hielt nicht sehr lange: Ab 1933 hält die NS-Ideologie auch in die Klassenzimmer Einzug: Auf diesem Klassenfoto von 1939 tragen fast alle Jungen die Uniform der Hitlerjugend, an der Wand hängt ein Bild des Leipziger Völkerschlachtdenkmals. Jüdische Schüler werden von 1942 an vom Schulbesuch ausgeschlossen - es folgen oftmals Deportation und Tod.
Suppe für alle
Schulspeisung in Berlin: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs normalisiert sich das Alltagsleben langsam, die Kinder können wieder regelmäßig die Schule besuchen. Aufgrund der schlechten Ernährungslage sind viele Familien auf das öffentliche Essensangebot angewiesen. Mit der Gründung der Bundesrepublik wird das alte System aus Volksschule, Mittelschule und höherer Schule wieder eingeführt.
Lernen mit Hammer und Sichel
Mit Gründung der DDR verändert sich auch das Schulsystem in Ostdeutschland. Mit sechs oder sieben Jahren kommen alle Schüler auf die Polytechnische Oberschule (POS), die die Klassen eins bis zehn abdeckt. Lehrpläne und Schulbücher sind im ganzen Land einheitlich und ideologisch eingefärbt. In der Bundesrepublik ist Bildung bis heute Ländersache - und von Bremen bis Bayern höchst unterschiedlich.
Einer für alle
Eine Dorfschule in Bayern 1960: Im ländlichen Raum gehen viele Schüler in den Nachkriegsjahren noch in eine einklassige Volksschule. Für den Lehrer eine Herausforderung - er muss sich mit Schülern aus acht Jahrgängen gleichzeitig beschäftigen. In den Städten gilt nach wie vor, dass die Konfession nicht nur darüber bestimmt, an welcher Schule man lernt - sondern auch mit wem man spielt.
Lernen unter neuem Namen
Die achtjährige Volksschule wird Mitte der 1960er Jahre im Rahmen einer Bildungsreform aufgelöst. Als Regelschule kommt nun die vierjährige Grundschule, anschließend geht es auf die unterschiedlichen Schultypen der Sekundarstufe - Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. Bis heute ein System, das immer wieder in Frage gestellt wird.
Diktat auf griechisch
In den 1960er Jahren kommen auch die sogenannten Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland - und mit ihnen auch Kinder, die kein Deutsch sprechen. Eine Herausforderung für das Schulsystem: Die Klöckner AG Bergbau spendiert daraufhin griechischen Kindern einen griechischen Volksschullehrer, der ihnen das Schreiben beibringt - ein Glücksfall für die Schüler.
Deutscher Lehrplan, russische Küche
Klubnachmittag im Hort 1980: Viertklässler der Oberschule "Antonon Zapotocky" in Neubrandenburg bereiten Pelmeni zu, ein russisches Nationalgericht. Die Nachmittagsbetreuung in den Schulen der DDR war früh Standard - ganz im Gegenteil zu westdeutschen Grundschulen, in denen je nach Standort noch immer rund ein Drittel der Kinder mittags nach Hause geht.
Inklusion - ein langer Weg
Ein Novum für die Grundschulen der vergangenen Jahre ist die Inklusion: Doch auch zehn Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention ist das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne Einschränkungen nicht selbstverständlich. Vielerorts fehlt es auch an Sonderpädagogen und Schulbegleitern - so dass betroffene Eltern die besser ausgestatteten Förderschulen für ihr Kind bevorzugen.
Das digitale Klassenzimmer
Drittklässler der Rosa-Luxemburg-Grundschule in Potsdam gestalten Stop-Motion-Filme zum Thema Kinderrechte: Auch die Digitalisierung der Grundschulen gehört zu den Herausforderungen - und zu den Themen, über die sich die Fachwelt streitet. Während die einen moderne Medien in den ersten Jahren komplett aus dem Klassenzimmer verbannen wollen, sehen andere in ihnen eine sinnvolle Ergänzung.
Lehrer, verzweifelt gesucht
Eines der drängenden Probleme der heutigen Grundschulen ist der Lehrermangel. Nach Prognosen der Bertelsmann-Stiftung fehlen bis 2025 rund 26.300 Lehrkräfte im gesamten Bundesgebiet. Ein Grund: die im Vergleich zu anderen Schulformen schlechtere Bezahlung. Das macht das Studium des Grundschullehramts oft unattraktiv, glauben Experten. Quer- und Seiteneinsteigern fehlt hingegen die Qualifikation.
Gute Noten für die Grundschule
Trotz aller Probleme: Die Mehrheit der Eltern ist laut einer Umfrage des Bundeselternrats mit der Schule ihrer Sprösslinge zufrieden. Auch auf der Leistungsebene stehe die deutsche Grundschule international gut da, sagt Bildungsforscher Hans Brügelmann und konkretisiert: "Nicht spitze, aber überdurchschnittlich."