EU entsetzt über Griechenland
23. Oktober 2011Der Prüfbericht der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, der den Finanzministern und jetzt auch den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vorgelegt wurde, offenbart eine wahre Tragödie. Griechenland wird noch weitere zehn Jahre Kapitalhilfen von der internationalen Gemeinschaft bekommen müssen, bevor sich der bankrotte Staat wieder selbst an den Finanzmärkten Geld beschaffen kann. Ursprünglich sollte Griechenland schon 2013 wieder fit genug sein.
Den Finanzbedarf Griechenlands schätzen die Prüfer in den nächsten zehn Jahren auf 252 Milliarden Euro, zusätzlich zu den 110 Milliarden Euro, die seit 2010 bewilligt und zum größten Teil ausgezahlt sind. Im Juli hatten die Staats- und Regierungschefs ein zweites Griechenland-Paket geschnürt, das aber nur 109 Milliarden Euro umfasst. Von dieser Summe bringen die privaten Gläubiger etwa die Hälfte auf. Diese 54 Milliarden sollten durch einen Verzicht auf Forderungen durch private und staatliche Banken in Höhe von 21 Prozent aufgebracht werden.
Schuldenschnitt wird vorbereitet
Da dies offenbar nicht ausreicht, um den griechischen Schuldenstand nachhaltig zu senken, wollen die Euro-Staaten nun die Banken und andere Gläubiger stärker zur Kasse bitte. Von einem Schuldenerlass in Höhe von 50 bis 60 Prozent ist jetzt die Rede. Darüber laufen jetzt die Verhandlungen mit den Banken. Sollten die Gläubiger diesem "Haircut" zustimmen, müsste das zweite Griechenland-Paket von 109 auf 114 Milliarden Euro erhöht werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, dass "Griechenland jetzt auf eine neue Basis gestellt werden muss". Danach müssten andere Euro-Länder, gemeint sind Spanien und Italien, geschützt werden.
Die Troika-Prüfer haben weiter festgestellt, dass sich die Lage der griechischen Staatsfinanzen trotz der schmerzhaften Sparpakete und drastischer Steuererhöhungen nicht verbessert hat. Das Defizit wird wohl auch in diesem Jahr rund zehn Prozent betragen. Die Wirtschaftsleistung bricht ein. Viele Ökonomen warnen ja, dass Griechenland sich "kaputt" spart. Je geringer die Wirtschaftsleistung, desto geringer die Steuereinnahmen. Je geringer die staatlichen Ausgaben, desto geringer die Nachfrage nach Wirtschaftsgütern. Die Ausgaben für Arbeitslose steigen. So fällt es Griechenland immer schwerer, seine Schulden zu bedienen. Kein Anleger hat deshalb Interesse an griechischen Staatsanleihen. Gesucht wird jetzt ein Ausweg aus diesem Teufelskreis.
Flüssig bis Jahresende
Trotz der schweren Bedenken und düsteren Prognosen der Troika aus EU, EZB und IWF entschlossen sich die Finanzminister der Euro-Zone, die nächste Kredittranche für Griechenland in Höhe von acht Milliarden Euro freizugeben. Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, die in Brüssel an den Verhandlungen teilnimmt, signalisierte Zustimmung. Die Freigabe der Mittel steht im Widerspruch zu früheren Aussagen der Finanzminister, die nur zahlen wollten, wenn die "Schuldentragfähigkeit" von Griechenland erwiesen sei.
Nach Einschätzung von EU-Diplomaten hatten die Finanzminister der übrigen 16 Euro-Staaten keine andere Wahl. Denn würde man den Kredit nicht freigeben, könnte Finanzminister Evangelos Venizelos schon vor Weihnachten keine Gehälter mehr an Polizisten und Lehrer zahlen. Die acht Milliarden Euro sollen mindestens bis zum Jahresende reichen.
Papandreou: Nicht nur unsere Krise
Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou sagte am Sonntag (23.10.2011) in Brüssel, die Griechen seien ein stolzes Volk und erwarteten auch Respekt für den drastischen Sparkurs. "Griechenland hat immer wieder gezeigt, dass wir die notwendigen Entscheidungen treffen, um unsere Wirtschaft überlebensfähig und gerechter zu machen", so Papandreou. "Es hat sich gezeigt, dass dies keine griechische Krise, sondern eine europäische Krise ist." In der Tat bewegen sich auch die Kosten für italienische und spanische Staatsanleihen auf Rekordniveau.
Da Griechenland aber der Auslöser der Schuldenkrise ist, plädiert die deutsche Seite inzwischen dafür, den Staat unter die Daueraufsicht einer Troika zu stellen. Die vierteljährlichen Überprüfungsreisen würden zu viel Unruhe und Medieninteresse auslösen. Besser sei eine kontinuierliche und dafür geräuschlose Überwachung des griechischen Haushalts.
Schon jetzt ist klar, dass auch ein großer Schuldenschnitt mit 50 Prozent Verzicht die Probleme nur verringern, aber nicht lösen wird. Mit Schuldenschnitt und gleichzeitigem Hilfspaket würde der Gesamtschuldenstand nach den Berechnungen der EU von heute 160 auf 120 Prozent im Jahr 2020 sinken. Das wären immer noch doppelt so viele Schulden, wie nach den EU-Verträgen eigentlich erlaubt sind. Der Bericht der Troika, so ein Teilnehmer der Verhandlungen in Brüssel, sei ein heilsamer Schock gewesen, der allen Beteiligten vor Augen geführt habe, wie dringend Entscheidungen gebraucht würden.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Ursula Kissel